Rechtsradikale Gruppierungen befinden sich nicht mehr am Rand der Gesellschaft, die Mitte hat sich zu ihnen verschoben, sagt Willi Mernyi im Gespräch mit Silvana Steinbacher.
Herr Mernyi, ich möchte mit dem Motto dieser Spielzeit Welt aus den Fugen beginnen. Ursprünglich verstand man unter einer Fuge die Verbindungsstelle, den schmale Raum zwischen zwei Teilen, beispielsweise eines Bauwerks. Wenn wir metaphorisch beim Bauwerk als Sinnbild für unsere Welt bleiben: Welche Verbindungsstelle hat sich Ihrer Meinung nach gelockert oder gelöst?
Ich beobachte innerhalb unserer Gesellschaft teils auch eine Umkehrung der Werte. Sie führt so weit, dass sogar jene, die Flüchtlinge vor dem Ertrinken retten, als Kriminelle beschimpft werden und der Begriff Gutmensch zum Schimpfwort degradiert wurde. Das ist eine Entwicklung, bei der ich das Gefühl habe, hier ist einiges aus den Fugen geraten. Abgesehen davon, dass ich immer noch ein hohes Potential an Solidarität, Empathie und Mitmenschlichkeit beobachte.
Ich möchte mit Ihrer Funktion als Vorsitzender des Mauthausen Komitees beginnen und mit deren Beschluss, FPÖ-Vertreter bei der Gedenkfeier im Mai dieses Jahres nicht einzuladen. Darüber wurde teils kontroversiell diskutiert. Können Sie die Gegenargumente nachvollziehen?
Nein, das kann ich nicht. Wir haben erst kürzlich demokratiefeindliche Untergriffe und Drohungen von FPÖ-Politikern dokumentiert. Es kann wirklich niemand von uns verlangen, dass beispielsweise ein Herr Vilimsky (Anm.: Generalsekretär der FPÖ) bei unserer Gedenkfeier eine Rede hält, der erst ein paar Tage davor bei der Front National gesprochen hat. Das wäre ja ungefähr so, als würde er vormittags beim Ku-Klux-Klan reden und nachmittags bei Amnesty International.
In der Zeitschrift Aula wurden die ehemaligen Häftlinge als Landplage und Massenmörder bezeichnet, eine Einladung wäre also den Häftlingen gegenüber ein Affront. Als Besucher können FPÖ-Politiker jederzeit kommen, aber nicht in offizieller Funktion. Dass die FPÖ nicht eingeladen wurde, ist auch ein Beschluss der ehemaligen Häftlinge, auch die katholische Kirche steht dahinter, außerdem haben wir die FPÖ noch nie eingeladen.
Sie sind bekannt dafür, dass Sie in Ihren Reden sehr konkrete, plastische Beispiele wählen. Ich nehme an, das gilt auch für die Führungen durch die Gedenkstätte?
Auf alle Fälle. Wenn wir einer Gruppe von Jugendlichen berichten, dass sechs Millionen Juden ums Leben gekommen sind, dann bleibt diese Zahl für sie zu wenig nachvollziehbar. Wir versuchen die einzelnen Zielgruppen in ihrer Lebensrealität zu treffen. Wenn ich einer Gruppe von Maurern bei der Todesstiege erkläre, wie die Häftlinge hier völlig unterernährt Granitblöcke hochschleppen mussten, kann ich sie interessieren. Wenn ich Frauen erzähle, dass die weiblichen Häftlinge im ehemaligen Bordell arbeiten mussten und dafür von der SS als Huren angesehen wurden, aber auch von ihren Mithäftlingen gehasst wurden, weil sie die Liebesdienerinnen der Täter waren, dann kann ich diese Gruppe wahrscheinlich berühren.