Theater und Tierpark möchten ihr Publikum begeistern, das verbindet sie.

Tiergartendirektor Stephan Hering-Hagenbeck im Interview

  • 2. November 2021
  • |
  • Text: Redaktion

So viele Menschen wie möglich zu begeistern: Das ist das Motto des Schönbrunner Tiergartendirektors Stephan Hering-Hagenbeck. Und diesen Aspekt sieht er auch als Parallele zum Theater, das sich, so meint er, ebenso nach dem Zeitgeist richten muss, um die Menschen anzusprechen. Silvana Steinbacher hat mit Stephan Hering-Hagenbeck gesprochen.

Herr Direktor Hering-Hagenbeck, das Linzer Landestheater hat sich für die laufende Saison das Motto „Natur und Kunst“ gewählt. Ein Theater und zoologischer Garten weisen auf den ersten Blick wenig Ähnlichkeiten auf. Gibt es Ihrer Meinung nach Parallelen zwischen den beiden Institutionen? 

Ja, wir haben sicher dahingehend etwas gemeinsam, als wir beide inszenieren. Wir im Zoo müssen dabei sowohl den Tieren als auch den Besucher:innen gerecht werden, und letzten Endes versuchen wir eine breitere Bevölkerungsgruppe für etwas zu begeistern. Und noch etwas:  Theater und Tierpark möchten ihr Publikum begeistern, das verbindet sie. Das Theater will zudem auch gesellschaftliche Themen transportieren und präsentieren. Unsere Kernthemen sind dagegen aber Artenschutz und Biodiversität. 

Schönbrunn ist der älteste noch bestehende Zoo der Welt und ein sehr beliebter Tiergarten. Ist unter diesen Voraussetzungen also in stärkerem Maße auf Inszenierung zu setzen?  

Ich spreche in diesem Zusammenhang für die wissenschaftlich geleiteten Tiergärten mit einem gewissen Qualitätsstandard, denn leider ist der Begriff Zoo nicht geschützt. Wir sind in einem zunehmenden Wettkampf und müssen uns Mitbewerbern gegenüber behaupten, wobei ich als Mitbewerber nicht andere Zoos meine, sondern andere Freizeitangebote. Auch das verbindet uns mit dem Theater, wir sind eine Institution, die zeitgemäß und wirtschaftlich arbeiten muss. Beim Theater spricht heute wahrscheinlich das Brechttheater nicht mehr so an. Wir müssen uns dem Zeitgeist anpassen und das bieten, was von den Besucher:innen gewünscht wird, denn nur dann können unsere Tiere als Botschafter fungieren und für den Artenschutz begeistern. 

Stephan Hering-Hagenbeck
Foto: Daniel Zupanc

Interessanterweise sollen die Tiere, oder manche Tiere, die Zeit des Lockdowns nicht als Entspannung von den Besucher:innen erlebt, sondern das Publikum teils bis zu depressiven Symptomen vermisst haben. Haben Sie diese Erfahrung in Schönbrunn gemacht oder handelt es sich dabei eher um Übertreibungen?

Als keine Besucher:innen kommen durften, hat den meisten Tieren tatsächlich etwas gefehlt, denn sie sind das Publikum ja gewohnt und letztlich beobachten uns die Tiere genauso, wie wir sie beobachten, sie erkennen uns als Individuen. Und es gibt auch Tiere, die sehr hierarchisch denken, die genau wissen, wer den Tiergarten leitet.

Tatsächlich! Woran können sie das erkennen?

Das sind meistens Tiere, die in sehr starken hierarchischen Systemen leben. Damit sie es bemerken können, muss die entsprechende Leitung natürlich gelegentlich im Tiergarten sein. Die Tiere bemerken das dann beispielsweise am Verhalten der Pfleger:innen. Tiere reagieren sehr sensibel. 

Stephan Hering-Hagenbeck
Foto: Daniel Zupanc

Gibt es Tierarten, denen ihr „Auftritt“ vor Publikum, also vor den Besucher:innen des Tiergartens, besondere Freude macht? Oder: Gibt es spezielle Tierarten, die besonders gerne mit dem Publikum „kommunizieren“? 

Diese Freude kann auch antrainiert werden, auch unterbewusst. Ein bestimmtes Verhalten löst ein bestimmtes Verhalten aus im Sinne einer Belohnung, zum Beispiel die Fütterung. Ich würde die Lust an der Inszenierung nicht auf eine spezielle Tierart beziehen, sondern aufs Individuum. Unsere Tiere sind bereits größtenteils in zoologischen Gärten geboren. Aus diesem Grund gehört der Mensch und auch die Tierpflege von Anfang an zum Alltag der Tiere. Wir kennen das von Tieren, die wir domestiziert haben, wie zum Beispiel dem Hund. Wenn man sich mit ihm beschäftigt, bereitet es ihm Freude. Wir haben es bei Tieren genauso mit individuellen Vorlieben und Charakteren zu tun wie beim Menschen. Unsere Elefanten und Orang-Utans beispielsweise haben alle unterschiedliche Charaktereigenschaften, manche mögen die Inszenierung gerne, andere sind dabei eher zurückhaltend.

Das Landestheater Linz legt, so wie die meisten anderen Theater auch, großen Wert auf Vermittlung. Auch Schönbrunn hat viele Zusatzangebote. Welche haben sich denn als besonders erfolgreich erwiesen?  

Wir waren durch Covid eingeschränkt und vieles war nicht möglich. Mittlerweile können wir fast unser gesamtes Programm wieder anbieten: von der Nachtführung bis zum Morgen- erlebnis. Ein besonderes Erlebnis ist es, durch den Zoo zu wandern, wenn Besucher:innen noch nicht da sind und die Tiere gerade erwachen. Seit neuestem bieten wir die sogenannte Giraffen-VerFührung an, bei der man die Tiere auf Augenhöhe erleben kann. Es gibt viele Spezialführungen, die für uns eine tolle Möglichkeit sind, um unsere Anliegen auch an unsere Besucher:innen weiterzugeben. 

Stephan Hering-Hagenbeck
Foto: Daniel Zupanc

Die Natur gerät zunehmend aus dem Gleichgewicht, jährlich verschwinden bis zu 58 000 Arten. Ich nehme an, dass diese Veränderungen auch Anforderungen an den Tiergarten Schönbrunn stellen.

Der Klimawandel ist ein großes komplexes Problem, auch die Vernichtung von Lebensraum, weil der Mensch gegenwärtig in der Population extrem wächst, und auch der grundsätzliche Anspruch des Menschen an Lebensraum, der immer mehr die natürlichen Lebensräume verändert.

Was bedeutet das für die Zoologischen Gärten im täglichen Betrieb?

Wir haben die Zoologischen Gärten auf vier Säulen gestellt: den Aspekt des Zoos an sich als Freizeitattraktion, und mit der gleichen Bedeutung haben wir uns dem Natur- und Artenschutz verschrieben. Als dritte Säule sehe ich die Bildung, also Naturbildung. Früher sind die Menschen an Bauernhöfen vorbeigegangen und haben die Produktion mitbekommen, das findet im immer urbaner werdenden Lebensraum in großen Städten überhaupt nicht mehr statt, und Zoos sollen daher auch außerschulische Lernorte sein. Und schließlich als vierte Säule die Forschung. Diese vier Punkte versuchen wir zu erfüllen und weiterzuentwickeln. 

Eine Parallele zwischen einem Tiergarten und einem Theater sehe ich auch dahingehend, als sich beide Institutionen immer wieder die Frage stellen müssen, wie zeitgemäß sie und ihr Handeln noch sind. Wie stehen Sie dazu? 

Von der Besucher:innenzahl gibt es keinen Anlass zu dieser Frage. Ich habe vor Schönbrunn den Tierpark Hagenbeck in Hamburg geleitet. Wir sind in Deutschland die größte Freizeitattraktion und haben mehr Besucher:innen als König Fußball. Wenn man sich die Entwicklung der Zoos vom Beginn ihrer wachsenden Popularität Ende des 19. Jahrhunderts ansieht, so haben sie eine massive Evolution erlebt. Wir haben im Vergleich zum Theater die große Herausforderung, dass wir unter unseren Gästen, also unter unseren Tieren, keine Kritiker haben, die wir verstehen können und sind auf unsere Interpretationen und natürlich unser Fachwissen angewiesen. 

Ich bin jetzt seit zwanzig Jahren in der Tiergärtnerei tätig und eng vernetzt, auch weltweit. Ich glaube, dass sich die zoologischen Gärten diese Frage immer wieder stellen müssen. In einer immer urbaner werdenden Welt ist es von enormer Wichtigkeit, Tiergärten zu betreiben. Es ist und bleibt aber auch eine Herausforderung für uns. Im Zoo muss man sich einfach Zeit nehmen, um ein Tier zu beobachten. Man kann es dafür im Gegensatz zu Tierfilmen mit allen Sinnen erleben. Am schönsten ist es, wenn Besucher:innen mit offenen Augen durch den Zoo und die Natur gehen.

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