Stephan Suschke ist seit 2016 Schauspieldirektor am Landestheater Linz. Zum Ende der Saison 2023/2024 legt er sein Amt zurück. Mit seinem Leitenden Dramaturgen Andreas Erdmann unterhält er sich über seinen Weg nach Linz, was er hier zurücklässt, was er mitnimmt.
Du hast in den 80ern an der Berliner Humboldt-Universität studiert, 1989 hattest du deine erste Stelle als Dramaturg. Haben das Jahr 1989 und seine welthistorische Wende deine spätere Theaterarbeit geprägt?
In der Zeit der sogenannten Wende habe ich mit Heiner Müller am Deutschen Theater an Hamlet als Assistent gearbeitet, war an den Demonstrationen beteiligt, wofür man nicht mutig sein musste. Ich habe den Mauerfall als Ende einer Hoffnung empfunden, weil klar war, dass eine Alternative zum Kapitalismus auf lange Zeit erledigt sein würde; das hat mich deprimiert. Andererseits war ich jung und gierig genug, mir einen Platz im neuen System erobern zu wollen. Den Assimilierungszwang habe ich als Herausforderung empfunden, ich wollte im Westen ankommen. Das wurde sicher auch mit Opportunismus bezahlt. Im Anpassungszwang war der Westen nicht besser, aber der Opportunismus wurde besser bezahlt. Natürlich ist dieser Epochenbruch auch mit anderen Verlusten verbunden. In der DDR war Theater, bzw. Kunst überhaupt, Öffentlichkeitsersatz und deshalb nicht nur für Künstler ungeheuer wichtig. Das ist mit dem Fall der Mauer weggefallen. In der DDR konnte man sich für ein T-Shirt fünf Theaterkarten kaufen, im Westen war es umgekehrt; das hat Teilhabe verändert und das Publikum. Gerade auf dem Weg zu Premieren hat mich immer wieder das depressive Gefühl durchschlagender gesellschaftlicher Wirkungslosigkeit beschlichen. Aber man kann natürlich nur dann depressiv sein, wenn man Wirkung für möglich hält.
Gibt es Themen, von denen du sagen würdest, dass sie dir durch deine Herkunft aus der DDR näher liegen als westlich Sozialisierten?
Ich habe den Untergang eines gesellschaftlichen Systems erlebt, die Aushöhlung einer Ideologie. Deshalb bin ich irritiert, dass so viele gesellschaftliche Bewegungen ideologisch so aufgeladen sind. Dabei bedeutet Ideologie doch immer das Ausblenden von Wirklichkeit. Noch viel schlimmer ist die verlogene Moralität unserer westlichen Gesellschaft. Davon ist Österreich glücklicherweise weniger betroffen als Deutschland, hier ist das entspannter, man könnte auch sagen desinteressierter.
Aber viel wichtiger waren für mich Haltungen, die verlorengegangen sind. Ich habe in der DDR zwar eine autoritäre Diktatur erlebt, aber eben auch Solidarität. Es gab ein anderes Verhältnis zwischen Frauen und Männern, man begegnete sich auf Augenhöhe. Frauen waren sozial unabhängiger, das veränderte die Verhältnisse. Hinzukam etwas Grundsätzliches: die sozialen Beziehungen waren nicht durch Geld definiert. Die Mangelgesellschaft erforderte mehr Improvisation, das verhinderte Glätte. Aber trotz alledem möchte ich das nicht zurückhaben, zumal da ja auch eine biografische Projektion drinsteckt: Man glorifiziert die Zeit, in der man noch sehr viel Zukunft vor sich hatte.