Italien: Hollywood-Version

Zur Premiere der beiden Opern Cavalleria rusticana / Pagliacci im Musiktheater.

PremierenfieberCavalleriaRusticanaPagliacci

Dass Oper und Film eine enge Verbindung zueinander haben, scheint außer Frage zu stehen – Handlung und Musik gehen eine Symbiose ein, dramaturgische Strukturen und Zuspitzungen, die auf der Bühne erfolgreich sind, haben auch hohe Chancen, auf der Leinwand erfolgreich zu sein.

Oper und insbesondere Kino funktionieren über ähnliche Mechanismen der Überwältigung: In einem abgedunkelten Saal taucht das Publikum in den Sog aus überlebensgroßen Figuren (buchstäblich, oder metaphorisch), unterlegt mit emotionalisierender Musik, in Extreme übertragene Konflikte werden ausgetragen und dabei wird durch den geschlossenen Erfahrungsraum – Bühne oder Kinosaal – ein Abgleich zwischen dem Gesehenen und der Realität außerhalb des Saals unmöglich. Perfekte Bedingungen für ein intensives Seh- und Hörerlebnis. Aber nicht nur strukturelle Ähnlichkeiten zementieren die Verwandtschaft zwischen Oper und Kino. Das Kino hat sich, seit seiner Anfangszeit, immer wieder mit Vorliebe aus dem Fundus der Operngeschichte bedient. Für musikalische Zitate, aber auch für Inspirationen an Plots, Beziehungen und Schicksalen. Dabei geht es vor allem um Italien als Wiege der Oper. Hollywood nutzt das Genre, um von einem Land, von Kultur und Menschen zu erzählen, Oper wird zum Inbegriff von Italien und vice versa.

Gemeint sind damit gern auch überbordende Gefühle, eben jene Überwältigungen, die einerseits für Musikdramen so typisch sind und die andererseits kodiert sind als „typisch italienisch“.

Auffällig ist, dass es dabei oft die (früh)veristischen Werke sind, die entweder mit der Intensität der Musik oder der Dramatik ihrer Handlungen überzeugen und inspirieren, so dass der Wechsel des Metiers von der Opernbühne auf die Kinoleinwand mühelos ermöglicht wird. Und dass sie dabei vor allem auf eine sehr spezifische Art und Weise zum Einsatz kommen: Als Signal, mit dem Italien eben als Idee, als Geschichte, als Mythos, als Klischee erzählt werden kann. In der Tat sind Cavalleria rusticana und Pagliacci in ihrer musikalischen und emotionalen Dringlichkeit herausragende Beispiele für Opernklassiker, die zur Inspiration für Filmschaffende wurden. Sofort ins Auge fallen dabei unter anderem die Mafiafilm-Klassiker wie etwa Der Pate III oder Die Unbestechlichen. Sogar die höchst erfolgreiche und oft am Puls der Zeit agierende Fernsehserie Die Simpsons widmet eine ganze Folge aus dem Jahr 2005 einer Rachegeschichte, die sich in Italien abspielt und schließlich in einer erstaunlich berührenden Aufführung von Pagliacci im Kolosseum in Rom mündet – inklusive einer ausgesprochen anrührenden Darbietung von „Vesti la giubba“.  Am Rande sei bemerkt, dass die ganze Episode auf den Filmklassiker Charlie staubt Millionen ab (The Italian Job) mit Michael Caine aus dem Jahr 1969 anspielt.

Dabei fällt auf, dass insbesondere die dramatischen Höhen und Tiefen generationenübergreifender Konflikte zu erzählen sind, eine Facette, die häufig in Mafiosi-Filmen favorisiert wird. In dieser Sorte Film wird die Oper häufig zum Vehikel des Italienischen schlechthin, für Kulturkodizes, die eine ganze Historie und auch Klischees erzählen sollen. So findet sich beispielsweise bei Francis Ford Coppola eine intensive Auseinandersetzung zwischen Film und der Gattung Oper, die in Der Pate III kulminiert – musikalisch, inhaltlich und sogar auf der Metaebene des Humors. Bösewichte lieben also die Oper? Ja, zumindest wenn man Hollywood Glauben schenkt, favorisieren die Bösewichte insbesondere die Werke des Verismo. Die Oper wird zum zentralen Element, gerade bei Coppola: Nicht nur, dass im dritten Teil der Pate-Reihe Anthony, der Sohn von Hauptfigur Michael Corleone, dargestellt durch Al Pacino, Opernsänger wird, der in der Rolle des Turiddu in Cavalleria rusticana reüssiert, oder dass der finale Racheplot, der den Mafiapaten Corleone stürzt, im Opernhaus stattfindet. Selbst der Akt der Rache wird parallel zur Handlung von Cavalleria dargestellt: So wie Turiddu seinem Rivalen Alfio ins Ohr beißt, um ihn zum Duell herauszufordern, wird diese Handlung in Coppolas Pate zwischen konkurrierenden Mafiosi wiederholt. Auch Martin Scorsese bedient sich häufig bekannter Operntitel, am eindrücklichsten wahrscheinlich in seinem Film Wie ein wilder Stier mit Robert De Niro aus dem Jahr 1980, der ebenso mit einer Referenz an Mascagnis Cavalleria rusticana beginnt. Über der Eröffnungssequenz liegt das berühmte Intermezzo der Oper, das klanglich den Ostermorgen erzählt und auratisiert, um so den gesamten Film vom Sportler-Porträt zur Sozial- und Persönlichkeitsstudie mit Gewicht zu heben. Aber auch „Vesti la giubba“ hat nicht nur im Fernsehen bei animierten Serien Erfolg, sondern etwa auch im Mafia-Epos The Untouchables – Die Unbestechlichen von Brian De Palma. In den Hauptrollen Sean Connery, Kevin Costner und abermals Robert De Niro – in diesem Fall als Gangsterlegende Al Capone – der in einer Szene beim Anhören von Canios Arie aus Pagliacci zu Tränen gerührt wird, während im Gegenschnitt zu sehen ist, dass sein Rivale ermordet wird.

Natürlich sind es nicht nur Ausschnitte aus diesen Opern, die gern verwendet werden – „Nessun dorma“ aus Turandot oder natürlich der Walkürenritt aus Richard Wagners Ring des Nibelungen sind immens populäre Beispiele für die Verwendung in Hollywoodfilmen. Was aber das Aufgreifen von Cavalleria rusticana und Pagliacci so besonders macht, ist die Idee einer Italianità – nicht bloß des „Dolce Vita“, sondern als Ausdruck einer italienischen Seele mit Abgründen und drastischen Emotionen.

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