Lauren Rae Mace: Welche Rolle spielt der Schauspieler Horst Heiss vom Landestheater Linz in der Produktion?
Johannes Wieland: Ich tue mich ein bisschen schwer, in einem Stück ohne lineare Geschichtenerzählung eine „Rolle“ zu benennen. Er hat aber natürlich eine exponierte Position, weil er mit Text und nicht nur mit Bewegung umgehen wird – allerdings sind die Übergänge, auch für die Tänzer:innen, in dem Stück fließend.
Lauren Rae Mace: Wie ist es für dich, zum ersten Mal mit dem Ensemble des Landestheaters TANZ LINZ zu arbeiten?
Johannes Wieland: Es ist immer spannend, neue Menschen kennenzulernen. Die Tänzer:innen hier am Haus haben mich sehr offen und vertrauensvoll empfangen. Das ist eine sehr gute Ausgangsposition. Denn im Prozess ist gegenseitiges Vertrauen, neben Risikobereitschaft, Eigeninitiative und Neugier, die wichtigste Voraussetzung. Es macht mir Spaß, mit ihnen zu arbeiten und zusammen auf eine Entdeckungsreise zu gehen.
Lauren Rae Mace: Wenn du in der Zeit in eine andere Dimension reisen könntest, wie sähe diese aus?
Johannes Wieland: Ich würde gerne in eine Dimension reisen, die mir die Möglichkeit eröffnet, mich selbst besser zu verstehen. Ansonsten wäre ich offen für Vorschläge.
Roma Janus: Johannes, bis noch vor einem Jahr warst du als Tanzdirektor und Hauschoreograf über 15 Spielzeiten am Staatstheater Kassel tätig. Davor und währenddessen hast du sowohl in Nordamerika als auch in Europa gearbeitet. Nun kehrst du als Gastchoreograf in die institutionelle Theaterstruktur zurück. Wie fühlt sich das an?
Johannes Wieland: 15 Jahre sind eine lange Zeit und man baut viel auf; eine Company, die Arbeit und ein Publikum. Das macht großen Spaß. Ich musste lernen, die Dinge im Kleinen zu managen, aber den großen Bogen nie aus den Augen zu verlieren. Man trägt viel Verantwortung. Verantwortung für die Menschen, die Sparte, das Stück. Es gibt sehr viel Organisation zu bewältigen, den Zusammenhalt zu stärken und Vertrauen zu schaffen. Dinge, die erstmal vordergründig nichts mit Choreografieren zu tun haben. In eine Struktur zurückzukommen wie hier in Linz und sich ausschließlich auf das Stück zu konzentrieren, ist großartig. Ich bin vom Theater hier sehr freundlich und mit offenen Armen empfangen worden. Gibt es einen besseren Start? Die strukturellen Abläufe mit ihren möglichen Schwierigkeiten kann die Kreativität aber manchmal schon bremsen. Ich bin jemand, der gerne nach vorne sieht, freue mich auf das, was kommt, und vermeide es, zu viel zu vergleichen.
Roma Janus: Was für eine Reaktion auf deine Arbeit würdest du dir vom Linzer Publikum wünschen?
Johannes Wieland: Das ist eine interessante Frage. Denn ich wünsche mir keine bestimmte Reaktion irgendeines Publikums. Das Konzept einer Vorstellung beinhaltet ja etwas Unmittelbares und oft auch das Unbekannte, das Neue.
Das Spannende ist, dass man sich gemeinsam mit allen Beteiligten darauf einlässt. Ich mache einen Vorschlag, etwas, woran man sich reiben kann, was man ablehnt oder euphorisch feiert. Aber genauso unvoreingenommen, wie ich es vom Theaterpublikum erwarte, dem Stück zu begegnen, genauso unvoreingenommen und offen bin ich für seine Reaktionen.
Roma Janus: Lauren, dich verbindet eine lange und enge Zusammenarbeit mit Johannes Wieland, als Tänzerin, Probenleiterin, choreografische Assistentin und Dramaturgin. Was ist eine Konstante in der Arbeit von Johannes Wieland? Wie ist seine Handschrift zu definieren?
Lauren Rae Mace: Johannes ist ein konzeptueller Expressionist auf dem Gebiet des Körpers und der Bewegung. Konstante Themen in seinem Werk weisen auf sein Interesse an der tiefen inneren psychologischen Welt des Menschen hin und der Bedeutung oder Bedeutungslosigkeit unserer Existenz in Bezug auf den größeren Rahmen der natürlichen Welt und des Universums. Er ist ein sozialer Kommentator, der auf subtile Weise den Status quo in Frage stellt und es genießt, die menschliche Natur in all ihrer Schönheit und Rohheit zu zeigen.
Wielands Handschrift lässt sich als ironisch, kompromisslos, neugierig, visionär, roh, paradox, herausfordernd, lustvoll und resonant definieren. Geerdete, kraftvolle, gegen-die Wand- schlagende Kompositionen sind zu erwarten. Das Ganze explosiv vertiefend ist die Handschrift von Wieland.
Roma Janus: Worin besteht deine Aufgabe bei dem Stück neuzeit?
Lauren Rae Mace: Die Arbeit einer Tanzdramaturgin bedeutet ständige Entwicklung. Es ist eine Praxis, und die Definition der eigenen Rolle braucht Zeit.
Ich betrachte mich als einen menschlichen Resonanzboden. Johannes und ich besprechen verschiedene produktionsbezogene Aspekte: die Funktion des Bühnenbildes, welche Bildsequenzen im Vordergrund stehen sollen (und warum), wie das Bewegungsmaterial zwischen den Szenen eingesetzt werden soll, wo es ruhigere Momente geben soll, wo es lautere Momente geben soll, welche Aufgaben den Tänzer:innen zuerst gegeben werden sollen, wie die Aufgaben entwickelt werden sollen, welche Qualität der Bewegung in eine bestimmte Szene eingebaut werden soll, was die wichtigsten Emotionen in bestimmten Szenen sind, wie wir Szenen aufbauen und wie sie realisiert werden sollen. Ich leite die Proben, wenn Johannes nicht anwesend sein kann, ich betreue die einzelnen Tänzer:innen beim Erlernen eines neuen Stils und helfe ihnen, die Handschrift von Johannes zu erkennen. Ich bin da, um seine Vision zu unterstützen, Input zu geben und eigene kreative Impulse zu liefern.