Davids horchte auf. Innerhalb eines Mehrspartenhauses wäre ein fixes Musicalensemble im deutschsprachigen Raum eine mutige Novität. Davids hatte bereits seit 1998 in Linz inszeniert (u. a. La Bohème, West Side Story, Crazy for You, Of Thee I Sing, La Calisto und Das schlaue Füchslein) und kannte das Haus deshalb gut. Ein Blick auf die Baupläne des Musiktheaters und ein konstituierendes Gespräch mit Mennicken gaben den Ausschlag: Er würde sich auf dieses Abenteuer einlassen!
Die Konzeptionsüberlegungen waren komplex. Wie viele Darsteller:innen sollte man fix beschäftigen? Ausschließlich Solist:innen oder auch Ensembledarsteller:innen? Welche Teammitglieder bräuchte man? Würde immer das Bruckner Orchester spielen, oder auch freie Bands? Wie viele Stücke pro Saison würden produziert? Gäbe es Wiederaufnahmen? Und womit sollte man eröffnen?
Auf all diese Fragen fanden Mennicken und Davids Antworten: 7 fixe Ensemblemitglieder (heute 10 bis 12), nach Bedarf dazu Mitglieder anderer Sparten und Musicalgäste, ein Musikalischer Leiter (heute zwei), ein Dramaturg, eine Regieassistentin (heute zwei plus ein Dance Captain); jährlich vier bis fünf Premieren und etwa 90 Vorstellungen; freie Bands bei kleineren Orchestrierungen, sonst das Bruckner Orchester. Über das Eröffnungsstück gab es einige Diskussionen. Nach Mary Poppins, Dirty Rotten Scoundrels und The Who’s Tommy fiel die Wahl schließlich auf Die Hexen von Eastwick, auch, weil die neuen technischen Möglichkeiten damit besonders gut präsentiert werden konnten (Flugszenen!).
Die Auditions für das Fixensemble wurden zu einer besonderen Herausforderung. Allein die Sichtung der Unterlagen von über 750 Bewerber:innen geriet zur Herkulesaufgabe. An drei Wochenenden im ersten Quartal 2012 sahen Davids, der designierte Musikalische Leiter Kai Tietje, Choreograf Simon Eichenberger und der sich hier erinnernde Dramaturg Arne Beeker insgesamt 350 Bewerber:innen, aus denen bis April das erste Ensemble gebildet wurde: Lisa Antoni, Daniela Dett, Kristin Hölck, Reinwald Kranner, Oliver Liebl, Rob Pelzer und Ariana Schirasi-Fard – die „glorreichen Sieben“.
Zeitsprung: 17. Dezember 2012, erste Probe von Die Hexen von Eastwick. Premiere soll zwar erst am 13. April 2013 sein, aber tags drauf ist bereits die zweite Premiere Seven in Heaven geplant; deshalb wurde zuerst Hexen und dann Seven geprobt. Das 27-köpfige Hexen-Ensemble betritt also an diesem neblig-kalten Montag ein wenig ehrfürchtig die nigelnagelneue Musiktheaterbühne: Wann erlebt man schon mal die Einweihung eines jungfräulichen Theaterneubaus? Im Rückblick sollte man meinen, es wären hunderte Selfies gemacht worden, aber Handykameras gab es damals noch kaum – von der Probe gibt es also nur ein Foto eines professionellen Fotografen.
Nach genau zwei Monaten Proben durfte anlässlich einer Preview zum allerersten Mal Publikum ins neue Musiktheater – es wurde ein Triumph. Dann, wieder zwei Monate später, das völlig verrückte Eröffnungswochenende: 11. April Festakt und Fura dels Baus an der Musiktheaterfassade, 12. April Opern-UA Spuren der Verirrten, 13. April Musical-ÖE Die Hexen von Eastwick, 14. April Tanz-Premiere Campo Amore und die Musical-Showtime Seven in Heaven in der BlackBox. Am 16. April Probenbeginn von Honk!, und in etwa diesem atemlosen Rhythmus ging und geht es bis heute weiter: 47 Premieren, davon 46 Linzer Erstaufführungen (außer Piaf), darunter 6 Ur-, 8 Deutschsprachige und 6 Österreichische Erstaufführungen. Das Linzer Musical ist heute international bekannt, es gibt Kooperationen mit großen Produzenten, selbst bis nach London und New York reicht inzwischen der Ruf der Linzer Sparte, so dass z. B. aktuelle Erstaufführungen wie Natascha, Pierre und der Große Komet von 1812 und Fun Home überhaupt erst möglich sind.
In Linz lebt das Musical, und Linz liebt sein Musical. In der kommenden Spielzeit gibt es erstmals ausschließlich Musical-Erstaufführungen – 3 ÖEs, eine DSE und eine UA. Hätten wir nicht ein Publikum, das sich begeistert auch auf ungewöhnliche Projekte einlässt, wäre das alles nicht möglich. Danke dafür!