Das Musical Das Licht auf der Piazza (The Light in the Piazza) kam nach einem zweijährigen Entwicklungsprozess 2005 an den Broadway, wo es über 500-mal gezeigt wurde. Es basiert auf dem Roman von Elizabeth Spencer aus dem Jahr 1960 und spielt 1953. Der Inklusionsgedanke befand sich in den 1950er Jahren in den Kinderschuhen, und Eltern, deren Kind geistig beeinträchtigt war, konnten nur zwischen zwei Möglichkeiten wählen: Entweder vertrauten sie ihr Kind einem geschlossenen Heim an, oder sie übernahmen die Verantwortung für das Kind selbst.
Gegenüber den „Irrenanstalten“, in die Menschen mit geistigen Störungen im 19. und frühen 20. Jahrhundert als „Schwachsinnige“ weggesperrt worden waren, war dies ein Fortschritt. In den 1950er Jahren formierten sich erstmals Interessengruppen, die Achtung vor Menschen mit geistigen Beeinträchtigungen einforderten. Die dunklen Jahre des Nationalsozialismus, unter dem der Gedanke der „Rassenhygiene“ verfolgt wurde und behinderte Menschen eingesperrt und ermordet wurden, hatten Nachwirkungen, sowohl negative als auch positive. Auch nach dem Untergang der NS-Herrschaft wurden geistig behinderte Menschen zwangssterilisiert, mit Psychopharmaka ruhiggestellt, unter würdelosen Lebensverhältnissen in Heime gesperrt und von der Mehrheitsgesellschaft separiert. Lange herrschte der Gedanke vor, eine angemessene Förderung behinderter Menschen sei nur in spezialisierten Institutionen möglich – Förder- und Sonderschulen, speziellen Einrichtungen für Blinde, Gehörlose, geistig Behinderte usw. Der Gedanke, dass nicht nur die Betroffenen, sondern auch die Mehrheitsgesellschaft von der Inklusion behinderter Menschen profitieren könnte, setzte sich nur langsam durch.
Ein Tabu ist für viele auch heute noch das Thema Sexualität. Nach wie vor herrscht große Unsicherheit, wie man mit sexueller Selbstbestimmung von Menschen mit körperlicher und vor allem geistiger Behinderung umgehen soll. Mehr noch, häufig wird Menschen mit geistiger Behinderung das Recht auf Sexualität vollständig abgesprochen. Dabei geht es um ein Grundbedürfnis: Jeden Menschen verlangt es nach Freundschaft, Liebe und Zärtlichkeit – ob mit oder ohne Behinderung.
Aber Eltern, Betreuenden und Mitarbeitenden in Pflegeeinrichtungen fehlt oft das Wissen, wie man mit dem sexuellen Verlangen von Menschen mit geistigen Einschränkungen umgeht. Viele sind peinlich berührt und vermeiden es, über Liebe und Sexualität zu sprechen. Dazu kommt, dass sie häufig in einem Spannungsfeld stehen, einerseits die Wünsche und sexuellen Bedürfnisse zu respektieren und andererseits die Vorgaben des Umfelds einzuhalten.
Wie können Eltern von Kindern mit Behinderungen sexuelle Aufklärung unterstützen? Generell ist wichtig, so Fachleute, dass sich Eltern und Bezugspersonen Wissen über sexuelle Aufklärung aneignen, Körperteile richtig benennen und die Kinder mit Behinderung in ihren sexuellen Belangen unterstützen – auch im Hinblick darauf, dass sexuelle Grenzverletzungen nicht stattfinden.
Auch Margaret, die Mutter der nach einem Reitunfall geistig entwicklungsgestörten Clara in Das Licht auf der Piazza, fühlt sich überfordert, als sich ihre 26-jährige, aber sehr kindlich wirkende Tochter während eines Urlaubs Hals über Kopf in den jungen Florentiner Fabrizio verliebt – und er sich in sie. Fabrizios Familie ist sofort Feuer und Flamme für die bezaubernde junge Frau, und die Sprachbarriere sorgt dafür, dass Zweifel daran, dass sie die Richtige für Fabrizio ist, erst gar nicht aufkommen. Margaret versucht vergeblich, die beiden jungen Menschen voneinander fernzuhalten, schließlich reist sie mit Clara sogar aus Florenz ab nach Rom, um zu verhindern, dass die Liebesgeschichte unkontrollierbar wird.
Clara versteht nicht, warum ihre Mutter ihr das Zusammensein mit Fabrizio verwehrt: „Ich will nicht das tun, was du für richtig hältst.“ Margaret versucht hilflos, Clara ihre Verhaltensweise zu erklären: „Du weißt nicht immer, was das Beste für dich ist.“ Clara kann dem nichts Handfestes entgegensetzen. Was sie aber spürt, ist, dass in der Beziehung Margarets zu ihrem Mann Roy nicht alles zum Besten steht, und sie legt erbarmungslos den Finger in die Wunde: „Du erzählst Lügen! Darüber, wie wir einander lieben. Daddy liebt dich nicht! Schau ihm nur einmal in die Augen. Schau in den Spiegel!“ Margaret verliert die Nerven und ohrfeigt Clara. Aber sie weiß, dass Clara recht hat.
Dann singt Clara den Titelsong des Musicals, „Das Licht auf der Piazza“. Sie weiß, dass sie viele Dinge nicht besonders gut beherrscht, doch: „Vom Sonnenlicht weiß ich viel, vom Licht, vom Licht auf der Piazza.“ Denn „es strömt hervor, es braust heran, es segelt durch mein Haar.“ In einfachen Worten erklärt sie ihrer Mutter, was diese fast vergessen hat: wie die Liebe einen ganz erfasst, wie in ihrem Licht alles anders wird: „Es leuchtet alles überall!“
Margarets Welt, jahrzehntelange Gewissheiten verschwimmen: „Wenn ich jetzt Roy anrufe, muss ich ihm die Wahrheit sagen, und ich habe keine Ahnung, was die Wahrheit ist.“ Ihr Mann Roy ist in Amerika und hat nicht miterleben können, wie die Liebe zu Fabrizio Clara verändert hat. Margaret weiß: „Er wird alles verderben. Und mein Traum für Clara …“ Hier unterbricht sich Margaret, weil sie erkennt, dass nicht ihr Traum für Clara wichtig ist: „Claras Traum für Clara wird zerschmettert am Boden liegen.“
Margaret trifft eine Entscheidung. Eigentlich spricht alles dagegen: ihr Mann, die Ärzte, die Gesellschaft, die Vernunft. Aber sie hat verstanden, dass sie nicht das Recht hat, Clara ihr Glück zu rauben, ihr die Chance zu verwehren, diese Liebe, die rein, wahrhaftig und ohne Hintergedanken ist, zu leben. Kann das ein Fehler sein? Ja. Aber wenn es ein Fehler ist, dann hätte er jedem anderen ebenfalls passieren können. Und ohne es zu wissen, ist Margaret ihrer Zeit voraus. Denn jeder Mensch hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit und damit auch das Recht, sich zu verlieben, ganz gleich, ob dieser Mensch anders ist als die meisten anderen.