Meyerbeers „Le Prophète“ gehört zu den temperamentvollsten und beeindruckendsten Partituren, die mir überhaupt je untergekommen sind. Ich gebe gerne zu, dass auch meine Neugierde bisher immer von anderen Großwerken und Herausforderungen des Repertoires ausgebremst und überlagert wurde. Es war mir schon klar, dass da eventuell eine völlig verborgene musikalische Welt auf mich warten würde, nur, diese zu betreten, ergab sich eben nicht von alleine. Umso dankbarer war ich unserem Intendanten Hermann Schneider, der mir schon vor Jahren den Tipp gab, diesen „Le Prophète“ einmal in die Hand zu nehmen und durchzublättern.
Allein schon die Lektüre der Partitur überraschte mich sofort: ein unglaublich dichtes Geflecht an Farben, Stimmungen, gepaart mit Orchester-Virtuosität und Stimmakrobatik. Keine Sekunde der Langeweile, ständig und überall lauern überraschende Momente und Effekte, zarte Klangflächen und fantastische Melodien. Dabei erschien einem alles auf den ersten Blick gar nicht so unbekannt: Dramatik wie bei Verdi, Intensität wie bei Wagner und Stimmbehandlung wie bei Puccini, gepaart mit der düsteren und geheimnisvollen Atmosphäre eines „Freischütz“ oder „Holländer“. Nur mit dem Unterschied: Meyerbeer war ja sozusagen der Erfinder dieses musikalischen Kosmos, er war der Erste, der ein Orchester so erklingen lassen konnte, wie nach ihm eben nur die bekanntesten und berühmtesten Opernkomponisten.