Über die Funktionsweisen der italienischen Oper in Zeiten des Krieges

Zur Premiere von Giuseppe Verdis La forza del destino (Die Macht des Schicksals).

PremierenfieberLaForzaDelDestino

Die einen halten die Oper für das Größte, was die Künste hervorgebracht haben. Die anderen sehen in diesem Genre das Lächerlichste, was im Reich der Musen je geschaffen wurde. Die Vorurteile, die die Gegner des Musiktheaters gerne ins Feld führen, wiederholen in den unterschiedlichsten Variationen Klischees wie etwa das Folgende: Oper ist, wenn sich dicke Sopranistinnen und ebensolche Tenöre durch absurde Handlungen krächzen. Der Hinweis auf die angebliche Leibesfülle der Interpret:innen ist dabei ein klarer Fall der Diskriminierungsform, die man heutzutage als Bodyshaming bezeichnet. Darunter versteht man die Herabsetzung von Mitmenschen allein aufgrund ihrer äußeren Erscheinung. Da dies mittlerweile zu Recht von vornherein als verurteilenswert gilt, muss man auf derartige Beleidigungen, die auf das Aussehen von Opernsänger:innen anspielen, nicht mehr näher eingehen.

Ein Gegenstand, der jedoch einer näheren Betrachtung wert ist, ist hingegen der oben skizzierte Vorwurf, dass Opern gerne mal eine Geschichte erzählen, die jeglichen Gesetzen der Wahrscheinlichkeit und Logik hohnspricht. Da muss man leider eingestehen, dass derartige Beanstandungen – zumindest auf den ersten Blick – nicht von der Hand zu weisen sind. Als Paradebeispiel für eine besonders absurde Handlung wird gerne Giuseppe Verdis La forza del destino (Die Macht des Schicksals) angeführt. Schon die ersten Minuten dieses Werks mögen tatsächlich Menschen mit einer Vorliebe für das Rationale und Reale sauer aufstoßen: Da liebt die Adelige Leonora mit Don Alvaro einen Ausländer. Leonoras Vater, ein verbohrter und sittenstrenger Marchese, ist gegen diese Verbindung. Als Leonora und Alvaro fliehen wollen, werden sie vom Marchese überrascht. Um seine lauteren Absichten unter Beweis zu stellen, wirft Alvaro seine Pistole weg. Als sie auf den Boden trifft, löst sich aus ihr ein Schuss, der den Marchese tödlich trifft. Auch im weiteren Verlauf der Opernhandlung geht es nicht weniger absurd weiter: Alvaro und Leonora werden auf der Flucht getrennt. Leonora wird von einem Mönchsorden aufgenommen. Ihr rachsüchtiger Bruder Don Carlo tritt unter falschem Namen in die Armee ein und wird ausgerechnet der beste Freund von Alvaro, der ebenfalls inkognito unter die Soldaten gegangen ist. Als Carlo die wahre Identität seines Kameraden erkennt, fordert er ihn zum Duell, das just vor der Klause stattfindet, in die sich Leonora für den Rest ihres Lebens zurückgezogen hat. Alvaro verwundet Carlo im Duell tödlich, der noch im Sterben seiner Schwester den Todesstoß versetzt.

Einer solchen Handlung vorzuwerfen, dass sie jeglichen Gesetzen der Wahrscheinlichkeit Hohn spricht, ist eine leichte Übung. Aber wer das tut, verwechselt gleichzeitig auch Ursache und Wirkung. Denn die Oper ist nicht deshalb unrealistisch, weil sie krude Geschichten erzählt; sondern ihr Realismus liegt genau darin begründet, dass sie Inhalte vermittelt, die der Sphäre der Rationalität enthoben sind. Denn verläuft das Leben wirklich immer nach den Gesetzen der Wahrscheinlichkeit? Kann nicht jede:r aus der eigenen Biografie von Zufällen berichten, die so bizarr sind, dass sich diese niemand ausdenken kann? Zeigen nicht gerade die weltpolitischen Ereignisse der letzten Monate, dass dem Weltenlauf kaum mit Vernunft beizukommen ist? Wie ist es sonst zu erklären, dass ein einziges im Suezkanal querliegendes Schiff einen Großteil der globalen Lieferketten ausbremst? Dass ein unbekanntes Virus das Leben weltweit lahmlegt? Oder dass in einer angeblich aufgeklärten Zeit in einem angeblich aufgeklärten Europa ein Angriffskrieg gestartet wird? Womit man ganz nah an Verdis La forza del destino angekommen wäre. Denn auch in diesem Werk geht es um einen Krieg. Im Original handelt es sich um den Österreichischen Erbfolgekrieg, der in den Jahren 1740 bis 1748 große Teile Europas verunsicherte. Doch Verdi und seine Librettisten Francesco Maria Piave und Antonio Ghislanzoni halten sich mit konkreten Anspielungen auf dieses historische Ereignis auffallend zurück. So finden sich im Textbuch nur ganz vereinzelte Hinweise, denen man erst forschend nachspüren muss, um auf besagten Erbfolgekrieg zu kommen. Das heißt aber nicht mehr und nicht weniger, dass es gar nicht um ein konkretes Ereignis geht, sondern um den Krieg an sich. Und auch hier kann man fragen, ob die oben geschilderten Vorkommnisse um Leonora, Carlo, Alvaro und den Marchese einem so unwahrscheinlich vorkommen, weil sie durch den Krieg mitverursacht und beschleunigt werden; oder ob die bizarren Zufälle, die diese Familiengeschichte bestimmen, nicht ein Zeichen dafür sind, dass eine Welt, in der Krieg herrscht, nur als absurd bezeichnet werden kann? Insofern ist Verdis Blick auf den Lauf der Dinge ein eher kühl-realistischer denn ein wildwuchernder theatraler.

Ganz zu schweigen davon, dass natürlich die Musik das adäquatere Ausdrucksmittel ist, wenn es darum geht, die verborgenen Schichten, die unter der Sphäre einer oberflächlichen Rationalität brodeln, zum Klingen und Schwingen zu bringen. Und wer, wenn nicht Verdi, wäre hier der richtige Komponist, der in seiner Partitur seinen Figuren ebenso ein berührendes Echo auf die harten Schläge eines wütenden Schicksals entlockt, wie er ihre utopischen Wünsche nach Frieden und Versöhnung in wahrhaft bewegende Klänge verwandelt?

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