Bereits seit den 1970er Jahren wiederum lotet der zypriotische Künstler Stelarc in spektakulären Performances die Grenzen des menschlichen Körpers aus. Mit den Muskeln seiner Beine gelang es ihm beispielsweise, eine dritte Hand zu bewegen. An seinem Arm ließ er wiederum eine aus menschlichen Zellen bestehende Ohrprothese einsetzen, die es Nutzer:innen auf der ganzen Welt ermöglichen soll, sich online in das Ohr einzuloggen und auf diese Weise zu jeder Tages- und Nachtzeit am Leben des Künstlers teilzunehmen.
Der Dramatiker Pat To Yan, gebürtiger Hongkonger und in der Spielzeit 2021/2022 Hausautor am Nationaltheater Mannheim, beschäftigt sich ebenfalls seit längerer Zeit mit Visionen der Zukunft. Im Rahmen seiner Trilogie Posthuman Journey etwa taucht man ein in eine dystopische Welt, die bevölkert wird von Wesen, die nicht mehr eindeutig beseelt oder künstlich, Mensch oder Maschine sind. Im zweiten Teil der Trilogie, Eine posthumane Geschichte (engl. Originaltitel Posthuman Condition), der sich mit der künftigen Kriegsführung via Drohnen befasst, erhält beispielsweise ein Kind, das ohne Gesäß geboren wurde, einen Cyberpo. Diese Prothese verarbeitet mehr Daten als es sein Gehirn jemals könnte, allerdings lässt es das Kind auch im rasenden Tempo altern. Doch nicht nur das: Gemeinsam mit anderen wundersamen Gestalten kann es gegen die Schrecken der Welt aufbegehren.
Der besondere Reiz an Pat To Yans Zukunftsentwürfen ist, dass neben diesen Hybridwesen auch allegorische Figuren auftreten wie die Weiße Knochenfrau, die Elemente der klassischen chinesischen Literatur und der buddhistischen Tradition vereint. Außerdem gibt es vieldeutige Erfindungen wie Der Mann, der das Geisterkind füttert oder Die Ansammlung gequälter Seelen. Aus dieser Melange, die mit dem Magischen Realismus verwandt ist, spinnt Pat To Yan ein poetisches Netz, das von einer mythendurchzogenen Vergangenheit in eine noch diffuse Zukunft reicht.
In den Kammerspielen wird die Regisseurin Sara Ostertag, die dem Landestheater in der vergangenen Spielzeit eine bildgewaltige Inszenierung von Die Geierwally bescherte, dieses zeitenumspannende Netz in ihre ganz eigene Bild- und Soundsprache übersetzen.
Auf das Publikum wartet dabei keineswegs eine kalt-technoide Welt ohne Menschen, sondern eine sinnlich-fantastische Reise in ein Universum voller neuer Daseinsformen.