45 | Standorte

WasmachenDramaturg:innen?

Die meisten echten Flops im Theater resultieren aus dem Versuch, etwas, das mal ein Erfolg war, noch einmal zu machen. Und wieder Erfolg damit zu haben. Die meisten großen Hits basieren allerdings auf demselben Prinzip. Darum heißt es ja auch: „Never change a winning team“. Aber oft genug klappt es eben nicht, die alten Tricks zu rezyklieren und wieder erfolgreich mit ihnen zu sein. Unter den vielen Faktoren, die eine Rolle spielen können, wenn eine bewährte Methode nicht mehr zum erwarteten Ergebnis führt, ist ein nicht zu unterschätzender: der Standortfaktor.

Typischer Fall: Eine neue Direktor:in kommt in eine neue Stadt und nimmt dort die größten Hits wieder auf, die in ihrem vorigen Theater die Wände haben wackeln lassen. Und das Publikum bleibt unbeeindruckt. (Übrigens eine der schlimmsten kalten Duschen, die Theaterleute sich selbst antun können: Ihre größten Erfolge aus der Mottenkiste holen und feststellen, dass sie an einem anderen Ort zu einer anderen Zeit keine Ausstrahlung mehr haben.)

Nun ist das eine Binsenweisheit, dass jede Stadt ihre eigene Kultur hat und jedes Theater auch. Andererseits gibt es die vielbeschworene internationale Sprache des Theaters und es gibt Festivals, die nichts anderes tun, als die großen Schlager ausländischer Truppen oder Bühnen als Gastspiele zu zeigen, welche dann vom Festivalpublikum mit Begeisterung aufgenommen werden.

Es muss da also einen Grat geben zwischen dem, was überregional verständlich und erfolgreich ist, und dem, was zwar regional ein Superhit und heißgeliebt ist, doch in einer anderen Stadt und ohne Kontext durchfallen würde.

Nun funktionieren die gerade angesprochenen Festivals oft über Stars und internationalen Ruhm und sprechen auch ein eigenes Publikum an, dasselbe gilt zum Teil für Champions-League-Theater wie das Burgtheater. Auf der Ebene des guten alten Stadttheaters aber sind Phänomene wie jenes der Inszenierung Wenn eine Dolores heißt, muss sie noch lange nicht schön sein (aus dem Jahr 2007) von Ruedi Häusermann durchaus nicht untypisch: Die Uraufführung (nach dem Autor Peter Bichsel) hatte am Zürcher Schauspielhaus Publikum und Presse in Verzückung versetzt. Darauf wurde sie zu den Hamburger Autorentheatertagen eingeladen und, man könnte sagen, von dort mit Protest wieder zurückgeschickt. Sowohl Kritiker:innen wie Zuschauer:innen der Hansestadt erklärten sie einhellig für Blödsinn.

Der Fall ist darum interessant, als hier noch nicht einmal versucht wurde, den Erfolg, den ein anderes Theater in einer anderen Stadt hatte, mit anderen Schauspieler:innen und ähnlichen Ideen nachzubauen, nein: die Original-Aufführung, die in der einen Stadt ein Hit war, wurde in der anderen einstimmig verschmäht.

Und das bringt uns zurück auf unser bereits angeschnittenes Thema: Standorte. Nicht alles, was an irgendeinem Ort im Universum toll ist, ist es auch an jedem anderen. Und der Autor dieser Zeilen geht so weit zu sagen: Wahrscheinlich gibt es für jedes Stück und jede Inszenierung einen Ort, an welchem sie verstanden und geliebt würde. (Und wenn es das Gehirn des Autors ist.) Die Kunst besteht darin, diesen passenden Ort auszumachen, oder – wenn der Ort das ist, was man nicht ändern kann – herauszufinden, welche Inszenierungen an den gegebenen Ort passen, an dem man gerade Theater machen darf.

Und Dramaturg:innen sind unter anderem eben Fachleute dieser Standortproblematik. Meist, weil sie genau mit dieser täglich ringen. Denn Theatermacher:innen sind ein fahrendes Volk, sehr selten kommen sie von jenem Ort, an dem sie dann Theater machen. Und tun sie es doch, dann werden sie dafür zwar oft von ihrem Publikum geliebt („Endlich einer, der unsere Sprache spricht!“), haben dafür aber von der Standortproblematik keine Ahnung.

(Es ist ein bisschen wie der Unterschied zwischen einer Uhr, die geht, und einer Uhr, die nicht geht. Die Uhr, die nicht geht, zeigt zweimal am Tag die astronomisch exakte Zeit, die Uhr, die geht, zeigt niemals die exakte Zeit, dafür aber 24 Stunden lang eine annähernd korrekte Zeit. Für die Benutzer:in von größerem Nutzen ist die Uhr, die geht.)

Dramaturg:innen leben meistens in der Fremde und haben gelernt, die Eigenarten ihres Standorts zu beobachten. Mit besonderer Berücksichtigung dessen, was für das Theater von Interesse ist.

Das kleine Einmaleins sind Pressereaktionen und Verkaufszahlen zu den Aufführungen. Sie zeigen an, was angenommen wird und in welchem Maß. Nicht so viel sagen Verkaufszahlen darüber aus, warum eine Vorstellung angenommen wird. Unter diesem Aspekt (des Warum) ist es interessanter zu beobachten, wann sich eine Vorstellung gut verkauft hat: hat sie sich schon vor der Premiere verkauft oder unmittelbar danach, also auf die Kritiken hin, oder hat sich eine Vorstellung im Lauf der Aufführungsserie kontinuierlich verkauft, womöglich mit zunehmenden Zahlen, je länger sie im Programm war.

Dann gibt es die Zuschauerreaktionen, die durch alle möglichen Kanäle sickern können, durch Gespräche, Briefe, Randbemerkungen, aus Theaterstammtischen und Treffen mit den Abonnent:innen. Ich persönlich finde nichts so aussagestark, wie einfach während einer Vorstellung im Saal beim Publikum zu sitzen. Und beinah genauso wichtig: Feedbacks von den Mitarbeiter:innen, die seit vielen Jahren an dem Theater arbeiten, die in derselben Stadt leben, womöglich dort aufgewachsen sind. (An anderer Stelle haben wir das schon mal besprochen: dass das künstlerische Personal häufiger aus fremden Städten kommt, Handwerker, Techniker, Verwaltung oft aus der Stadt, in welcher das Theater steht.)

Ausschlaggebend für die Wahrnehmung durch das Publikum sind aber nicht allein die Aufführungen, sondern auch Erscheinung, Kommunikation und Themensetzung des Theaters insgesamt. Die Kommunikationsprofis nennen es: den Auftritt. Und gerade für den sind regionale kulturelle Unterschiede besonders wichtig. So mag ein Intendant in einer Stadt im Ruhrgebiet in Deutschland Dinge derb beim Namen nennen, was ihm die Ruhrpötter als Ehrlichkeit auslegen. Wenn derselbe Intendant dies in der Schweiz tut, mit derselben Derbheit, kann er sich genauso gut sein eigenes Grab schaufeln, weil Schweizer:innen einige Erscheinungsformen deutscher Derbheit nicht allein als rüpelhaft, sondern als Bedrohung wahrnehmen.

Nun reden wir immer vom deutschen Stadttheater und meinen damit die subventionierten Sprechtheater der drei großen deutschsprachigen Länder Österreich, Schweiz und Deutschland. Warum dies deutsche Stadttheater ein System ist, das in vieler Hinsicht zusammenhängt – eher fast wie ein großer Betrieb als wie lauter einzelne – haben wir ebenfalls schon diskutiert. Dennoch steht jedes dieser Stadttheater in seiner eigenen Stadt, in einer anderen Kulturlandschaft. Aber auch die großen kulturellen Unterschiede zwischen den Nationen sind nicht zu verachten.

So kam der Autor dieser Zeilen als junger Mensch in die Deutschschweiz und erhielt dort im Theater das Gefühl, dass die Bilderstürmereien der Herren Calvin und Zwingli kaum der Vergangenheit angehören konnten. Nicht nur war dem Publikum der 90er alles, was zu viel Regie enthielt, ein Graus, auch jedes Zuviel an Spiel wurde moniert, und trank man anschließend mit den Herren (oder Damen) Protestant:innen aus dem Publikum drei Biere, kriegte man mit Sicherheit beim vierten Bier zu hören: „Weisch, ich wott das Stuck emal eifach so gseh, wien es der Autor gschribe hät! Bloß dä Teggscht! Ohni all das Zügs drum ume!“

Später in Österreich stellte ich fest: Die Österreicher:innen haben gemessen an der Größe ihres Landes eine überbordende Theaterkultur (einschließlich der dazu gehörenden Texte). Österreich ist schlicht nach Theater verrückt. (Ein Reisender, der einem Zug entstiege und nicht sicher wäre, ob er sich in der Schweiz oder in Österreich befände, nähme am einfachsten ein Taxi und bäte den Fahrer, ihn zum Schauspielhaus zu fahren. Wäre der Reisende in Zürich, würde der Taxichauffeur antworten: „Zum Schauspielhaus. Und ist das ein Theater?“ Befände sich der Reisende in Wien, lautete die Antwort: „Zum Schauspielhaus. Na, die Premiere vom Wochenende war wohl eine Brezn.“)

Vor und neben allem anderen aber lieben Österreicher:innen ihre Schauspieler. In Österreich stehen die Schauspieler:innen in der Mitte des Theaters.

Und was steht in Deutschland in der Mitte? Ich bin geneigt zu sagen: Die Suche nach der Wahrheit. Gehen Deutschen ins Theater, suchen sie die Wahrheit. Womöglich gilt das Gleiche auch für Deutsche, die aufs Postamt gehen. Oder in den Supermarkt: Sie sind auf der Suche nach der Wahrheit. Ob das dem Theater gerade förderlich ist (oder dem Supermarkt, oder dem Postamt), ist nicht einfach zu beantworten. Vielleicht ist es das ja sogar.

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