Die Dunkelziffer und der schlimmste anzunehmende Fall

Regisseurin Katka Schroth im Interview zur Premiere von Worst Case / Dunkelziffer.

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Die renommierte Dramatikerin Kathrin Röggla ist Salzburgerin (und wurde vielleicht deshalb bisher nicht am Landestheater Linz aufgeführt) und lebt heute in Berlin-Neukölln.

Die Regisseurin Katka Schroth wurde in Potsdam geboren, inszenierte in Linz mit großem Erfolg Elfriede Jelineks „Das Licht im Kasten“ (2018, Österreichische Erstaufführung) und „Jedermann (stirbt)“ (2019) von Ferdinand Schmalz. Für das Landestheater verschneidet sie aus aktuellem Anlass Rögglas Stücke „draußen tobt die dunkelziffer“ und „Worst Case“ miteinander. Beide Stücke zählen zu Rögglas medienanalytischen Texten, in denen sie mit dokumentarischem Sprachmaterial arbeitet. FOYER5 sprach mit Katka Schroth über die beiden Texte und die Arbeit daran.

Katka Schroth, Sie inszenieren einen Abend, in dem zwei Texte von Kathrin Röggla zusammengeworfen werden. Der eine heißt draußen tobt die dunkelziffer, der andere Worst Case. Der eine handelt von Katastrophen- und Worst-Case-Szenarien, der andere von Verschuldung als einer Art Volksseuche. Die Stücke sind preisgekrönt, nie in Linz gelaufen und stammen aus dem ersten Jahrzehnt unseres Jahrhunderts. In gewissem Sinne wirkt diese Themenwahl von heute aus hellseherisch. Sind die Texte immer noch aktuell?

Wofür verschulden sich die Leute, die Menschen? Auch wenn das Stück vor dem Hintergrund der Finanzkrise entstanden ist, wirft es mehr Fragen auf, mehr Fragen als nach den überzogenen Dispokrediten, nach dem Kapitalismus als Ganzem, seinen Verheißungen, danach, was eigentlich schief läuft, warum wir uns dem Kampf um das Haben und Nicht- Haben so schuldbewusst und verkniffen unterwerfen.

Sie verbinden beide Stücke miteinander? Wie machen Sie das?

Zunächst einmal nehme ich die Texte auseinander, zerschneide sie und setze die Teile wieder zusammen. Parallel dazu sehe und höre ich mir die Schauspieler:innen an, wie sie sprechen, was für Eigenarten und Stärken sie haben, versuche zu verstehen, wer sie sind und sein könnten. Beim Zusammensetzen lasse ich mich von den verschiedenen Klängen leiten, arbeite eher intuitiv. Dabei entsteht etwas Neues, das ich noch nicht kenne. Ich teste verschiedene Modelle, montiere die Teile in verschiedener Reihenfolge, beobachte was passiert. Die überraschenden Richtungen, die eine Sache einschlagen kann, interessieren mich.

Worst Case Dunkelziffer
Worst Case / Dunkelziffer | Foto: Herwig Prammer

Wo berühren die beiden Themen Katastrophe und Verschuldung sich? 

Wir leben wissentlich über unsere Verhältnisse, brauchen Ressourcen auf, die die Erde gar nicht so schnell wieder herstellen kann. Das lässt sich ganz gut am Erdüberlastungstag, auch Welterschöpfungstag genannt, ablesen. Am 28. Juli diesen Jahres war das ganze jährliche Ressourceneinkommen aufgebraucht. Seitdem leben wir auf Pump. Unsere Bank heißt Erde. Interessant ist, dass die Auswirkungen der Coronavirus-Pandemie den ökologischen Fußabdruck der Menschheit verkleinert haben.  Der Erdüberlastungstag fiel auf mehr als drei Wochen später als 2019, als direkte Folge der weltweiten COVID-19-Lockdowns. Die Reduktion im Holzverbrauch und der CO2-Emissionen aus der Verbrennung fossiler Brennstoffe sind die beiden Hauptgründe für diese deutlich sichtbare Änderung im Jahr 2020.

In der Regieanweisung sagt die Autorin über Dunkelziffer: „das Stück funktioniert wie ein außer Rand und Band geratener Wunderwürfel. Das Ganze darf zerlegt und neu zusammengesetzt werden, solange nicht versucht wird eine exemplarische Erzählung herzustellen.“ Wie kann das auf der Bühne aussehen?

Ein schönes Bild. Der Zauberwürfel verfügt ja über Trillionen Möglichkeiten der Konfiguration, alles ist veränderbar, bis auf die Mittelsteine. Die lassen sich zwar drehen, ihre Position zueinander ist jedoch unveränderbar.

Abgesehen von der Kombinationsmöglichkeit, ist es spannend, dass die „Steine“ im Text beim Drehen ihre Farbe wechseln. Waren die Figuren eben noch Schuldenmacher sind sie im nächsten Moment Schuldenberater oder umgekehrt. Hat die eine oder der andere gerade einen Ausweg gefunden, gerät die Figur im nächsten Moment selbst in den Schlamassel. So gerät die Sache immer mehr außer Rand und Band, wird unkontrollierbar, wird absurd und komisch.

Worst Case Dunkelziffer
Worst Case / Dunkelziffer | Foto: Herwig Prammer

Die Autorin hat in beiden Texten keine durchgehenden psychologischen Figuren geschrieben, die Rollen, wie Sie gerade beschrieben haben, wechseln ständig. Wie arbeiten Sie unter diesen Umständen mit den Schauspieler:innen? Schätzen Sie so etwas, eine psychologisch realistische Erzählung auf der Bühne? Und geht es auch ohne?

Die Bühne ist ein Ort der Unwirklichkeit und ist es auch wieder nicht. Der fremde Text und der/die konkrete Schauspieler:in, nicht das Ausgedachte, die Reibung interessiert mich. Diese Spannung nutze ich beim Proben. Ich probiere viel aus. Dabei merke ich, ob eine Szene Sinn macht oder nicht. Ich arbeite aus den Momenten heraus. Bis das einzig mögliche und notwendige situative Ergebnis entsteht.

Zu vieles in der Literatur täuscht ein Modell der Erkennbarkeit und Beherrschbarkeit der Welt vor. Dem misstraue ich. Überschaubarkeit ist langweilig und deprimierend. Deshalb nehme ich gern die Schere. Aber dabei bleibt es ja nicht. Es wird immer wieder etwas Neues aufgebaut, in Beziehung und neue Konstruktion gesetzt. Etwas Überraschendes, Unerwartetes entsteht.

Liebe Frau Schroth, wir danken Ihnen für das Gespräch.

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