Dass die Wahrnehmung von Geschlecht und die damit verbundenen Rollenmuster einem beständigen Wandel unterworfen sind, ist natürlich keine neue Erkenntnis. Hier reicht beispielsweise schon ein Blick in die Operngeschichte, um zu erfahren, mit welcher Lust frühere Generationen mit Geschlechtermerkmalen und -zuschreibungen spielten. Frauen, die Männerrollen übernehmen oder Männer, die sich als Frauen verkleiden, bevölkerten seit jeher die Musiktheaterbühnen. Eine unter Gendergesichtspunkten besonders spannende Epoche war hier die Barockzeit mit ihrer Vorliebe für Kastraten. Gleichwohl ist diese Hochzeit der virtuosen Gesangskunst nicht frei von tragischen Verschattungen, war doch die vor dem Stimmbruch der Knaben vorgenommene Operation nicht ungefährlich. Demnach litten viele Männer, so sie den oftmals unter zweifelhaften hygienischen Bedingungen vorgenommenen Eingriff überlebt hatten, ihr Leben lang unter den Folgen einer gescheiterten Operation. Diejenigen jedoch, denen aufgrund härtester Ausbildung eine Karriere auf der Opernbühne gelang, genossen oftmals einen Starruhm, der dem eines Styles oder Chalamets mindestens ebenbürtig war. Auf alle Fälle hatte das Publikum der Barockzeit aber keinerlei Schwierigkeiten damit, dass die größten Helden der Mythologie und Geschichte wie Herkules, Alexander der Große oder Julius Caesar von kastrierten, in höchsten Sopranregistern singenden Männern dargestellt wurden. Auch dass Kastraten Frauenrollen verkörperten, war etwa im Kirchenstaat üblich. So kam es eben vor, dass zwei zum Geschlechtsakt nicht fähige Sänger ein Liebesduett sangen und das Publikum dies als völlig normal ansah.
Bringt man das barocke Repertoire in der heutigen Zeit, die keine Kastraten mehr kennt, auf die Bühne, sind die Genderfluiditäten ebenfalls vorprogrammiert. Denn nun singen die männlichen Hauptrollen oftmals Sängerinnen. So auch in Linz, wenn die Titelpartie in Georg Friedrich Händels Rinaldo von dem neuen Ensemblemitglied Angela Simkin gesungen werden wird. Dass eine veritable Kampfmaschine wie Rinaldo, der den Auftrag hat, das von den Sarazenen besetzte Jerusalem zu befreien, von einer Frau dargestellt wird, erhöht nur die Lust des Spiels mit unterschiedlichen Geschlechteridentitäten. Und dieses Vorgehen zeigt, dass Ihr Theater Ihnen die Möglichkeit anbietet, sich auf vergnügliche Art und Weise mit Genderfragen auseinanderzusetzen. Im Idealfall erhalten Sie dadurch ganz entspannt und von schönster Musik begleitet erhellende Einblicke in die gegenwärtigen, für das Verständnis der aktuellen gesamtgesellschaftlichen Prozesse wichtigen Diskussionen um Geschlecht und Identität.