Ein höchst vergnüglicher Shakespeare!

Ein kleiner Reiseführer zu William Shakespeares Komödie Was ihr wollt.

  • 27. Februar 2023
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  • Text: Andreas Erdmann

Shakespeares Werke sind ein Kontinent. Und damit Sie keine Sehenswürdigkeit versäumen, geben wir Ihnen hier schon einmal einen kleinen Wegweiser zu seiner Komödie Was ihr wollt:

1 | WOVON HANDELT DAS STÜCK?

Chinesische Wunderkugeln sind mit Schnitzereien verzierte Elfenbeinkugeln, in deren Innerem sich eine zweite Elfenbeinkugel befindet und in dieser eine dritte und in dieser eine vierte. Fragen Sie nicht, wie die gemacht werden. Aber Shakespeares Dramen sind ebenso gebaut: In einer Handlung befindet sich die zweite und in dieser eine dritte, usw. Und alle klingen sie zusammen, wie die Sphären, von denen Shakespeares Zeitgenossen glaubten, dass das Universum aus ihnen bestehe und die, da sie sich ineinander drehten, die Sphärenmusik produzierten. Die oberste und erste Sphäre des Stückes Was ihr wollt erzählt von der hoffnungslosen Liebe des Fürsten Orsino zu der Gräfin Olivia. Diese trauert um ihren geliebten Bruder und will nichts von Orsino wissen. In der zweiten Sphäre spielt die Geschichte eines anderen Geschwisterpaars, der Zwillinge Viola und Sebastian, die in einen Seesturm kommen und sich durch den Untergang des Schiffs aus den Augen verlieren. Jedes glaubt das andere Geschwister tot. Weshalb Viola, um als junge Frau nicht schutzlos in der Welt zu sein, sich als Mann verkleidet und in den Dienst des schon erwähnten Fürsten Orsino stellt. Der schickt sie als Liebesboten zu Gräfin Olivia, die sich prompt in den Boten verliebt. Sie ahnt nicht, dass der Bote gar kein Mann ist. In der dritten Sphäre befinden sich die anderen Bewohner des Hauses der Olivia, die, da das Haus in ihren Augen durch den Tod von Olivias Bruder herrenlos geworden ist, den Aufstand proben.  Einige versuchen selbst zum Hausherrn aufzusteigen, indem sie um die Hand der Gräfin buhlen. Andere nutzen das vermeintliche Machtvakuum, um zu feiern und das Haus zunehmend auf den Kopf zu stellen. (Wer genau hinschaut, kann sehen, dass die Wunderkugel unterhalb der dritten Sphäre auch noch eine vierte, fünfte, sechste hat.)

Was ihr wollt
Foto: Alfred Morina

2 | WORUM GEHT’S WIRKLICH?

Handlungen von Shakespeare-Stücken können kompliziert klingen, wenn man sie nacherzählt. Auf der Bühne aber sieht alles ganz einfach aus. Das ist einer der Gründe, warum Shakespeare als der größte Dramatiker gilt. Der andere ist, dass Shakespeare gleichzeitig ein Philosoph war, der von den Dingen sprach, die die Menschenwelt im Innersten zusammenhalten. Wie in den meisten seiner Stücke geht es in Was ihr wollt um die Ordnung der Dinge. Darum, wie diese Ordnung angegriffen und wie sie wieder hergestellt wird. In seinen Tragödien treten häufig Menschen auf, die glauben, dass es ihre Aufgabe sei, diese angegriffene Ordnung (meist die Ordnung eines Staates) wieder herzustellen. Daran verheben sie sich dann. Zuletzt sind es der Tod oder schlicht die Zeit, die wieder für die Ordnung sorgen. In Was ihr wollt spielt Shakespeare eine gnädigere Variante dieses Themas: Zwar ist auch hier die Zeit aus den Fugen (was man schon daran sehen kann, wie die feierwütigen Bewohner des Hauses der Olivia die Nacht zum Tag machen), doch muss niemand sterben, um das Chaos zu beenden. Stattdessen fügt Shakespeare dem Spiel der hoffnungslosen Leidenschaften einen Joker in Gestalt von Violas Zwillingsbruder hinzu (der taucht am Ende wieder auf), und aus lauter Dreiecken von unglücklich Verliebten werden Paare. Allein die Geometrie dieses Liebesspiels demonstriert dem Publikum die göttliche Ordnung.

3 | IST DAS LUSTIG?

Shakespeares Komödien sind immer ein Stück weit melancholisch. Allerdings nutzt der Autor hier das Thema von der „angegriffenen Ordnung“, um auch die lustvollen Seiten dieses Angriffs einmal weidlich auszukosten. In keinem anderen Shakespeare-Stück werden die Verhältnisse so auf den Kopf gestellt, werden Autoritäten zum Gespött gemacht, wird virtuoser Schabernack getrieben, gesungen und getrunken, als wär’s das letzte Mal. (Das ist es aber auch, denn zum Schluss wird abgerechnet, und insofern ist sogar der derbste Spaß hier wiederum ein kleines bisschen melancholisch.)

4 | WAS BEDEUTET „WAS IHR WOLLT“?

Im frühneuenglischen Original lautet dieser Teil des Titels: „What you will“, was Englischsprachige intuitiv mit: „Das kann alles bedeuten,“ übersetzen, analog zu dem Ausdruck: „make of it what you will“. Also: „Machen Sie sich Ihren eigenen Reim darauf.“ Da es sich hier allerdings um Früh-Neu-Englisch handelt, könnte man das auch – als würde man es Wort für Wort ins Deutsche übertragen – im Sinn von „das hier ist das, was ihr wollt“ deuten. Also was das Publikum auf der Bühne sehen will. So oder so scheint der Autor mit dem Titel direkt das Publikum anzusprechen. Im Original ist „What you will“ aber nur der zweite Teil des Stücktitels. Der erste lautet „Twelfth Night“. Und damit ist die zwölfte Nacht nach Weihnachten gemeint, bei uns Epiphanias oder Drei Könige.

Was ihr wollt
Foto: Alfred Morina

5 | ABER WAS IST EIGENTLICH DIE ZWÖLFTE NACHT?

Tatsache: An die drei Weisen aus dem Morgenland dachte Shakespeare wohl zuletzt. Der letzte Tag der Weihnachtsferien galt zu seiner Zeit als letzte Nacht der sogenannten Rauhnächte, die nach der Überlieferung sowohl eine gefährliche als auch eine heilige Zeit darstellten. Der Ursprung davon liegt in alten Mondkalendern, in denen die zwölf Nächte, um das Mondjahr vollzumachen (und um auf die notwendigen 365 Tage zu kommen), als „tote Zeit“ oder als Tage „außerhalb der Zeit“ hinzugenommen wurden. In diesen Tagen hatten jenseitige Mächte leichteres Spiel in die Welt der Lebenden einzubrechen. Vor allem aber war Dreikönige für die Engländer der Shakespeare-Zeit der Höhepunkt des Faschings. Shakespeare mixt die Faschingsbräuche seiner Zeit mit denen der alten Römer und ihren Saturnalien. Bei diesen verkleideten Frauen sich als Männer, Herren als Knechte, und umgekehrt: Knechte als Herren. Ein Brauch, der heute noch verbreitet ist, ist die Ernennung des Bohnenkönigs. Das ist die Person, die die in ein Fastnachtsgebäck eingebackene Bohne findet und darauf zum König des Tages ernannt wird, bei den Elisabethanern: „Lord of Misrule“ (Herr der Misswirtschaft). Der hatte gern den Abbot of Unreason an der Seite (den Abt des Unsinns), und beide präsidierten dem Feast of Fools.

Nicht zu vergessen ist aber noch ein anderer verbotener Ritus in Was ihr wollt: Teufelsaustreibung, der Exorzismus, den im 4. Akt der falsche Pater Topas vornimmt. Ein solcher war im 17. Jahrhundert von der anglikanischen Kirche Englands nämlich abgeschafft. Einige Shakespeareforscher glauben, dass der Barde zu den englischen Kryptokatholiken zählte, also Katholiken, welche ihre Konfession nur im Verborgenen praktizieren konnten.

6 | IST DAS STÜCK ALSO EIN WEIHNACHTSSTÜCK?

Im Stück ist nicht von Weihnachten die Rede, auch von Winter nicht, und die Gartenszenen deuten nicht auf winterliches Wetter hin. Gut, der Ort der Handlung heißt Illyrien, also die Küste von Kroatien, Montenegro und Albanien, da hätte der Winter ein paar milde Nächte haben können. Aber so ist es nicht gemeint: In der Handlung des Stücks ist ja auch von Fastnacht nirgendwo die Rede, und nicht ihrerwegen schlagen die Komiker des Stücks über die Stränge, sondern umgekehrt, im Herzen dieser lustigen Figuren, sie heißen Toby Rülp und Andrew Bleichenwang, ist immer Karneval, und darum können sie nicht anders als Party machen wollen. Shakespeare schrieb das Stück vielmehr als Programm für die Weihnachtsfeiertage und die Faschingszeit seines Publikums. Und darum bringt das Landestheater es auch am 28. Jänner 2023 heraus.