Verteufeltes Theater

Nestroy, Höllenangst und die Theologie.

PremierenfieberHöllenangst

„Ab 381 steht die Religion mit dem Theater auf dem Kriegsfuß.“ In diesem Jahr machte nämlich Kaiser Theodosius das Christentum zur römischen Staatsreligion. Und gegen Ende des vierten Jahrhunderts, glaubt der Theaterwissenschaftler Heinz Kindermann, „waren die Theater weitgehend geschlossen und die Schriften darüber vernichtet“.

Zwar sind die Gründe dafür nicht ganz klar, von den großen Kirchenvätern wie Augustinus von Hippo sind allerdings eindeutige Aussagen zu dem Thema überliefert, wie: Die Theater seien „Tummelplätze der Unzüchtigkeit“, „Wohnungen des Teufels“, „babylonische Öfen“ (was auch immer das gewesen sein soll). Die Vertreter der frühen Staatskirche erscheinen von heute aus gesehen bilderfeindlich, ganz im Gegensatz zu dem, wofür die Katholische Kirche Jahrhunderte später in die Popkultur eingehen sollte. Und doch begegnen uns kirchliche Theaterverbote bis ins 18. Jahrhundert. Heißt das aber umgekehrt, dass das Theater seinerseits auch mit der Welt des christlichen Glaubens nichts zu tun hatte?

Offenbar ist das Gegenteil der Fall. Christliche Theologie und Katechismus prägen das abendländische Theater stärker, als wir heute auf den ersten Blick erkennen. Und wenn sich Johann Nestroy im Jahr 1849 in seiner Posse Höllenangst einen theologischen Spezialfall, nämlich einen vermeintlichen Teufelspakt und die sich daraus ergebenden Heilsfragen, vorknöpft, dann nimmt er es – wieder einmal – mit der halben abendländischen Theatergeschichte auf.

Die Hauptfigur in Höllenangst, der Kleinbürger Wendelin Pfrim, hat sich in einem Wutanfall dazu hinreißen lassen, seine Seele dem Teufel zu verkaufen (nachdem er den Glauben an die Mächte des Guten verloren hat), und kämpft nun für den Rest des Stückes um sein Seelenheil und gegen den Abstieg in die Hölle. Dass der Teufel, mit dem Pfrim den Pakt geschlossen hat, gar nicht der Teufel ist, spielt dabei eine untergeordnete Rolle. Und so leicht man die Geschichte auf den ersten Blick für einen Schabernack des Possenautors halten könnte, wiederholt sie eine Urfigur unseres Theaters.

Natürlich hörten auch im finsteren Mittelalter die Christen nicht mit dem Theaterspielen auf. Allerdings spricht die Überlieferung zunächst nur von sehr wenigen erlaubten Formen. Als Erstes wurden ausgerechnet in den Kirchen selbst die Liturgien hoher Feiertage theatralisiert, zu Weihnachten und Ostern Krippen- und Passionsspiele. Bald durften auch außerhalb der Kirchenmauern sogenannte Mysterienspiele gezeigt werden, sofern sie der christlichen Erziehung dienten. Und eine der wichtigsten wiederkehrenden Erzählungen in diesem Genre war die Psychomachie (der Seelenkampf), der typischerweise eine menschliche Zentralfigur vorstellte, die umgeben war von allegorischen Gestalten, welche für die Mächte des Guten und des Bösen standen, also beispielsweise für die sieben Todsünden und die sieben Kardinaltugenden. Diese zerrten dann von rechts und links an der Hauptfigur, die allegorisch für die Menschenseele stand, und versuchten, sie auf ihren Weg zu ziehen, nach oben in den Himmel und nach unten in die Hölle. Mysterienspiel nannte man das Ganze, weil hier Dinge sichtbar werden sollten, die im echten Leben und mit bloßem Auge nicht zu sehen waren, da sie sich in der Menschenseele und in transzendenten Sphären abspielten. Drum der reichliche Gebrauch allegorischer Gestalten.

Irgendwo schon mal gehört? Teufel links, Engel rechts? Genau, die Psychomachie ist eine der wichtigsten Dramaturgien des abendländischen Theaters. Aber lang vorbei. Tatsächlich? Ganz und gar nicht. Der mittelalterliche Jedermann zum Beispiel, den wir in der Fassung Hugo von Hofmannsthals kennen, ist eine typische Version davon: Das Sterben des Sünders bildete in dieser Art von Stück traditionell den letzten Akt. Die menschlichen Gestalten, außer dem Jedermann, sind höchstens beiläufig maskierte Allegorien: die Tischgesellschaft, einschließlich der Buhlschaft, Stellvertreter:innen der sieben Todsünden. Und ein Teil der allegorischen Personnage wird nicht einmal zum Schein vermenschlicht, sondern tritt auch weiter als reine Symbolfiguren auf: als Mammon, Glaube, Gute Werke.

Hofmannsthal verarbeitete in seiner Fassung dieses Stoffs Textbücher der englischen Renaissance, und in ebendieser Zeit (und am selben Ort) wirkte der Mann, der den größten Einfluss eines einzelnen Dramatikers auf das weitere europäische Theater hatte: William Shakespeare. Nun ist Shakespeare unter vielem anderen ein großer Wiederentdecker der vergessenen lateinischen Autoren, die 1000 Jahre lang verboten waren. Zugleich aber steht Shakespeare auch mit beiden Beinen fest im Mittelalter, und das zeigt sich insbesondere, indem auch er mit Vorliebe die dramaturgische Konstellation der Psychomachie aufgreift: Wenn in seinen Historien rechts und links des Königs gute und schlechte Berater stehen, an ihm zerren, ihn auf ihren Weg führen wollen. Der wesentlichste Unterschied zum christlichen Mysterienspiel ist, dass die Guten und die Bösen keine allegorischen Gestalten sind und dass der König nicht nur um sein Seelenheil, sondern auch um das ganz diesseitige Heil des Staates ringt.

Vermittelt durch den großen Barden pflanzt sich diese manichäische Dramaturgie (Verzeihung!), diese Einteilung der Welt in Mächte des Guten und des Bösen bis zu uns heute fort. (Schauen wir zum Beispiel zu den alten Griechen, zeigt sich, dass sie auch die Geisterwelt nicht einfach in Gut und Böse einteilten, und die Menschenwelt noch weniger. Und wer die Klassiker der Griechen einteilend nach Gut und Böse inszeniert, der wird nicht glücklich werden.)

Und damit wären wir auch schon bei Nestroy. Denn ganz wie für Shakespeares König Heinrich oder für Othello, ist es auch für Wendelin Pfrim praktisch unmöglich zu erkennen, wer in seiner Umgebung zu den Guten und wer zu den Bösen zählt. Wem er also trauen können sollte und wem nicht. Das wäre nicht weiter schlimm, wenn die Personen, die um ihn herum sind, nicht lauter Politiker, Oberrichter, hohe Würdenträger wären, von denen, logischerweise, auch noch sein persönliches Schicksal (und das seiner Eltern) abhängt.

Und jetzt das Alles bitte noch auf Österreichisch: Denn, na klar, die Guten sind hier in Wahrheit die Bösen, und die Bösen die Guten. Insbesondere die Figur des Oberrichters Thurming, den positiven Helden des Stücks, nimmt Pfrim für das genaue Gegenteil von dem, was er wirklich ist. Da sich nämlich Pfrims und Thurmings Wege erstmals nachts in einem Donnerwetter kreuzen, und weil Pfrim zuvor gelästert hat, hält er den Oberrichter glattweg für den Teufel. Was Pfrim allerdings nicht hindert, einen Kontrakt mit ihm zu schließen und einen Beutel voller Gold von ihm zu nehmen. Das Ganze also ein Mysterienspiel auf Speed. In der Mitte steht ein zwar im Herzen guter Kerl, der Kleinbürger, der keiner Fliege was zu Leide tun kann, doch in seiner politischen Desorientiertheit nimmt er stets den Busch für den Bären und stiftet mit tatkräftiger Unterstützung seines ebenso ahnungslosen Vaters so lange Verwirrung, bis die üblen politischen Verhältnisse kapitulieren und sich in Wohlgefallen auflösen.

In den verqueren, wenn auch sehr lustigen theologischen Kategorien des Stücks deuten sich im Hintergrund gewisse Wirren an, die in der soeben in Österreich gescheiterten Revolution eine Rolle gespielt haben dürften. Auf die Bühne bringen durfte man das 1849, trotz vorübergehender Abschaffung der Zensur, natürlich nicht. Nestroy war das allerdings egal. Und die Religion stand mit dem Theater ohnehin auf Kriegsfuß.

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