Er kam, sah und siegte (beinahe)

Zur Premiere von William Shakespeares Julius Caesar im Schauspielhaus.

PremierenfieberJuliusCaesar

Die Jahresberichte von Freedom House, einem amerikanischen Thinktank, bieten deprimierenden Lesestoff: Seit 17 Jahren ist die Zahl der liberalen Demokratien, die nach 1989 sprunghaft angestiegen war, wieder im Sinken begriffen. Meist sind es Machthaber, (und hier wird bewusst nur die männliche Form verwendet), welche die Demokratie fürchten und entsprechende Bewegungen innerhalb ihrer Bevölkerung unterdrücken und sogar Kriege gegen jene führen, die sich an ihr orientieren. Putin ist in diesem Zusammenhang derzeit sicherlich der bekannteste Aggressor.

Es gibt aber auch das umgekehrte Phänomen, nämlich: Bevölkerungen mit demokratischer Regierung, die ihr überdrüssig werden. Selbst in Europa, – dem Selbstverständnis nach, ein Bollwerk der Demokratie –, zeigen sich entsprechende Tendenzen. In unterschiedlicher Ausprägung werden diese etwa in Ungarn, Polen oder Serbien, ja, auch in Österreich sichtbar.

Wissenschaftlich betrachtet ist dies zunächst ein irrationales Phänomen. Es ist evident, dass demokratisch organisierte Länder aufgrund verbürgter Freiheitsrechte, Gewaltenteilung, politischer Teilhabe und entsprechender Rechtssicherheit relativ zur Gesamtbevölkerung den höchsten Lebensstandard bieten. So sind etwa China oder ölreiche Staaten im arabischen Raum wirtschaftlich durchaus erfolgreich(er). Aber die Verteilung des Reichtums ist aufgrund der hohen Korruption und der Machtkonzentration auf die regierende Elite entsprechend ungleich verteilt. Hinzu kommt, dass jene Regime häufig in der Gunst des Militärs stehen und sich ausgeprägte Sicherheitsapparate leisten. Zur Not kann also mit Gewalt reagiert werden, ohne sich vor einer unabhängigen Justiz oder der Öffentlichkeit, etwa in Form freier Medien, rechtfertigen zu müssen. Woher rührt also das Unbehagen an jener Regierungsform, welche nachweislich vor autoritärer Willkür schützt, frei zugängliche Märkte garantiert und für sozialen Ausgleich sorgt?

Antworten auf solch komplexe Fragen finden sich in William Shakespeares Tragödie Julius Caesar. Rom ist zur Zeit Caesars nämlich seit einigen Jahrhunderten kein Königreich mehr, sondern ebenfalls eine Republik. Es gibt im Senat politische Vertreter, die zuvor gewählt wurden und die Interessen ihrer Wählerschaft vertreten. Zudem existiert ein unvergleichliches Rechtssystem, das Europa bis in die Gegenwart prägt. Bis heute wird Römisches Recht als eigenständiges Fach an den juristischen Fakultäten gelehrt und vor allem unser Zivilrecht ist stark von diesem beeinflusst. Die Bedeutung Roms für die Entwicklung der Rechtsstaatlichkeit kann also kaum überschätzt werden. Und dennoch befindet sich die Republik in einer existenziellen Krise und geschickte Strategen wie Caesar wissen dies für sich zu nutzen. Der Ruf nach seiner Alleinherrschaft wurde folglich immer lauter, und Caesar, zu jener Zeit auf dem Höhepunkt seiner militärischen wie politischen Macht, liebäugelt tatsächlich mit der Königswürde.

An dieser Stelle lassen sich bereits zwei Parallelen zu gegenwärtigen Problemlagen der Demokratie erkennen. Zum einen ist es ihr Existenzzeitraum. Die Römer lebten einige Jahrhunderte in ihrer Republik. Eine solch lange Periode lässt die Erinnerung an das „Zuvor“ verblassen. Sie lässt somit auch die Erinnerung an jene Kämpfe verblassen, die für das Erringen der Republik erforderlich waren. Bei Shakespeare wird dies insofern thematisiert, dass Brutus, eine zentrale Figur im Kampf gegen Caesar, aus jener Familie stammt, die gegen den letzten römischen König Superbus gekämpft hatte. Der Brutus-Mythos ist im römischen Reich sehr bekannt, Brutus entsprechend hochangesehen und mit der Republik als Regierungsform eng verknüpft. (Übrigens wurde auch Kleists Prinz Friedrich von Homburg von jenem Mythos inspiriert). Die Annehmlichkeiten der Republik erscheinen also nach und nach selbstverständlich und das Bestehen einer Demokratie wird allzu leichtfertig vorausgesetzt. Und wenn dann, zum anderen, noch eine tiefgreifende Krise den Staat ereilt, ist die Stabilität ernsthaft gefährdet.

Nun ließe sich einwenden, dass die römische Krise, die auch den Hintergrund für Shakespeares Stück bildet, mit den heutigen kaum zu vergleichen ist. Die römische Republik unterscheidet sich in zu vielen Elementen von modernen Demokratien. Sie war beispielsweise, wie der Shakespeare-Kenner Isaac Asimov schreibt, eine Republik der Patrizier, also eine Republik der Elite, und somit nicht für die Arbeiter:innen, Frauen oder Sklav:innen gedacht. (Selbst die wählende Männerschar war ungleich – je reicher, desto wertvoller die Stimme). Hinzu kommt, dass die gewählten Tribunen häufig korrupt waren, keine Gewaltenteilung existierte und die Ausdehnung des römischen Reiches durchaus Probleme für die Verwaltung als auch wirtschaftliche Konsequenzen für die italienischen Provinzen mit sich brachte. Der römische Bauer konnte etwa mit den billigen Importen, welche aus den vielen Eroberungen resultierten, nicht konkurrieren. Es herrschten also Armut, Lieferengpässe und Korruption. Und es herrschten eben auch reiche Bürger wie Caesar oder Pompeius, die eigene Armeen befehligten und nach der Macht griffen. Die Folge war ein verheerender Bürgerkrieg, der die Einwohnerzahl Roms beinahe halbierte und am Ende Caesar als großen Sieger hervorbrachte. Caesar siegte nämlich nicht nur über Pompeius, er eroberte in der Folge auch neue Gebiete in Gallien, Afrika oder Ägypten und konnte mit Gütern die Not in Italien lindern und großzügige Geschenke an die Bevölkerung verteilen. Es nimmt daher nicht wunder, dass viele in ihm den Retter für die Misere erkannten und ihm auch zu Beginn des Stückes die Königswürde antragen.

Doch trotz dieser historischen Unterschiede kann durchaus konstatiert werden, dass jene Probleme Roms viel Erhellendes für unsere Gegenwart bereithalten. Das Gefühl von den Herrschenden nicht repräsentiert zu werden, da die wesentlichen Entscheidungen nicht mehr im Parlament, sondern im Vorfeld im Sinne einer Elite getroffen werden – die Korruption also zunimmt –, man von seiner Arbeit nicht mehr leben kann, weil sie im globalen Süden billiger zu haben ist, und den Politiker:innen insgesamt nicht mehr vertraut wird – all dies trägt vor allem heute zur Erosion der Demokratie bei. Und wenn in der Folge ein geschickter Populist mit einfachen Lösungen, wohlklingenden Versprechen und großzügigen Geschenken die Bühne betritt, wird es gefährlich.

Wie gefährlich zeigt schließlich ebenfalls Shakespeare. Denn der Versuch, die Republik mit dem äußersten Mittel des Tyrannenmords zu retten, bleibt halbherzig bzw. geschieht im falschen Bewusstsein. Denn die Verschwörer handeln, mit Ausnahme von Brutus, nicht nur im Sinne der Republik, sondern vorrangig für sich selbst. Sie sind Nutznießer des Systems und wollen nicht, dass Caesar dies ändert. Der Griff nach der Krone ist für sie ein willkommener Vorwand, wie der Historiker Plutarch schreibt. So glauben sie auch, dass mit der Ermordung Caesars die Situation bereinigt sei und die Dinge wieder ihren gewohnten Lauf nehmen würden. Sie verkennen also den Unmut der Bevölkerung, welcher hinter der Popularität Caesars steckt. Marc Anton weiß diesen wiederum gekonnt zu nützen. Er tritt aus dem Schatten und wiegelt die Bürger:innen bei der Grabesrede gegen die Verschwörer auf. Diese müssen fliehen, zum Teil werden sie vom wütenden Mob ermordet und Marc Anton ergreift die Macht. Was Caesar beinahe geschafft hatte, wird von ihm nun vollendet. Das Schicksal der Verschwörer rund um Cassius und Brutus erinnert hingegen eindrücklich daran, dass in einer Demokratie die Macht zwar vom Volk ausgeht, sie von ihr aber auch in Balance gehalten und auf viele Schultern verteilt wird. Letztlich zum Wohle aller. Kippt diese Balance, droht die dünne Decke der Zivilisation nur allzu leicht zu zerreißen. Demokratische Regierungen funktionieren also nur dann, wenn sie dem Wohle der Bevölkerung dienen und nicht zur hohlen Regierungsmaske einiger Weniger verkommen.

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