48 | Das Nichtverstehen des Berufs

WasmachenDramaturg:innen?

In Anbetracht der Welt müssen sich Theatermenschen fragen, welche Aussagen zu dieser sie durch das Theater machen können, welche Aussagen den Aufwand wert sind, der darin besteht, so etwas wie Theater überhaupt zu machen und das eigene Leben in dessen Dienst zu stellen. In Zeiten, als Theater eine Art Unterhaltungsmonopol besaß, stellte sich die Frage nicht in dieser Weise: Damals war Theater in vieler Hinsicht konkurrenzlos. Entsprechend vielfältig mochten die Motive der Beschäftigung damit sein.

Heute sieht das anders aus, das reine Unterfangen des Theatermachens stellt einen so großen Aufwand dar gemessen an dem Aufwand, mit dem andere, konkurrierende Medien eine viel größere Wirksamkeit und Öffentlichkeit erreichen.

Man könnte daher meinen, diese Situation brächte die Theatermenschen eher dazu, zu erkennen, warum sie ausgerechnet Theater machen wollen, welche Aussagen und Fragen wert sind, im Theater verhandelt zu werden. In der Realität scheint das jedoch nicht immer der Fall zu sein.

Die Erklärung dafür könnte nicht so einfach sein, vor allem: nicht so interessant, wie die Beantwortung der Frage, was wir tun können, um das zu ändern. Die Leser mögen mir noch etwas Zeit geben.

Eigentlich wollte ich diese Woche – anknüpfend an die Erzählung vom blinden Dramaturgen, der in einer Aufführung, die er selbst betreut hat, sitzt und feststellt, dass er keine Ahnung hat, was da zu sehen ist – darüber nachdenken, worin eigentlich die Kunst des professionellen Sehens der Dramaturg:innen besteht und auf welchen Wegen Dramaturg:innen versuchen, immer besser zu sehen und zu verstehen. (Denn wie alles, was man ernsthaft macht, ist auch das gar nicht so einfach.)

Doch auch dieses Thema muss um sieben Tage aufgeschoben werden, bietet sich doch Anlass, ebenso fundamentalen Fragen nach Natur und Kunst des Schauspiels nachzugehen.

Wie einige mitbekommen haben werden, beschwerten sich vor zwei Wochen Studierende des Max-Reinhardt-Seminars, der größten Schauspielschule Österreichs, über die in ihren Augen ungenügenden Standards der Benutzung von Befugnissen und des Respekts vor den Studierenden bei ihrer Institutsleitung. Gefordert wurde unter anderem der Rücktritt dieser Leitung, welcher unterdessen erfolgte.

Das Problem dürfte noch nicht gelöst sein, auch wenn einige Funktionär:innen Konsequenzen ziehen mussten.

Besonders schrill – wenn auch nicht ungewohnt – stach aus der Debatte um den Fall ein Kolumnist der Wochenzeitschrift NEWS hervor, der sich über den offenen Beschwerdebrief der Studierenden hermachte, zu welchem er im Untertitel seines Kommentars befand, dieser zeuge von einem „grundlegenden Nichtverstehen des Berufs“ (gemeint ist: die Schauspielerei).

Und das ist doch einmal interessant. Insbesondere scheint es zu versprechen, dass – wer die Kolumne liest – etwas über den Beruf erfährt, das den Studierenden bisher verschlossen blieb.

Ich überspringe alle möglichen Hintergrundinformationen (und Mutmaßungen) zum Skandal am Reinhardt-Seminar und komme gleich zu dem Teil, in dem der Kolumnist zur Erklärung des Berufs ansetzt: Anlass dazu bietet die Beschwerde der Studierenden, universitätseigene Richtlinien zu Diskriminierung, Gender und Diversität würden am Reinhardt-Seminar nicht umgesetzt. Nun schreibt der Kolumnist über die Studierenden: „Es gibt so gut wie nichts auf der Welt, was sie weniger benötigen als ‚Richtlinien zu Themen wie Diskriminierung, Gender und Diversität‘.“ Und im nächsten Satz: „Sie brauchen im Grunde nur eines: bestmögliche handwerkliche Ausstattung für einen Beruf, der sie permanent an die Grenzen des Risikos, ja der körperlichen und seelischen Selbstausbeutung führen wird.“

Die Gegenüberstellung zweier so unterschiedlicher Dinge wie institutioneller Selbstverpflichtungen zur Diskriminierungsprophylaxe einerseits und des Anspruchs an die handwerkliche Qualität der Ausbildung andererseits wird auch später nicht mit einer inneren Logik unterlegt. Was der Fall sein könnte, wenn der Kolumnist zum Beispiel klar machte, warum eine Schauspielakademie nicht beides zur gleichen Zeit haben kann: also Fairnessregeln und gute handwerkliche Ausbildung. Zumindest unternimmt er explizit keinen Versuch in diese Richtung. Der müsste ja auch Aussagen beinhalten wie: „Wer verbietet, Randgruppen zu unterdrücken, der beschränkt die Fantasie der Studierenden.“

Geht man davon aus, dass Antidiskriminierungsregeln den ganzen universitären Betrieb betreffen, also Verwaltung, Lehrende, Studierende, während Standards einer handwerklichen Ausbildung sich auf einen Teil des Lehrstoffes beziehen, könnte man meinen, dass hier Äpfel mit Birnen verglichen werden. Die Argumentation: „Statt sich über Diskriminierung zu beschweren, sollten die Studierenden lieber an die Schauspiel-Technik denken,“ wäre demnach typischer Whataboutism („Was sagen Sie zu den Menschenrechtsverletzungen in der DDR?“ – „In der BRD sind dafür vier Millionen Menschen arbeitslos!“).

Nun muss man anmerken, dass der Kolumnist einen ironischen Jargon pflegt, der ihm spart, sich zu bekennen, wie ernst er all das meint.

Schauen wir uns trotzdem die Glieder dieses Arguments an: „Es gibt so gut wie nichts auf der Welt, was sie (die Studierenden) weniger benötigen als ‚Richtlinien zu Themen wie Diskriminierung, Gender und Diversität‘.“ Die Aussage ist sachlich schwer zu würdigen. Wörtlich genommen würde sie ja nahelegen, dass Probleme wie Ausländerfeindlichkeit, Antisemitismus, Hass auf Frauen usw. in unserer Gesellschaft keine Rolle spielen, dass eine Universität deshalb auch keine Richtlinien dafür benötigt. Bedauerlicherweise leben wir nicht in einer solchen Wirklichkeit. Vermutlich appelliert der Satz auch bloß an jenen Teil des Publikums, dem Themen wie Ausländerfeindlichkeit etc. schon lange auf die Nerven geht.

Teil zwei: „Sie (die Studierenden) brauchen im Grunde nur eines: bestmögliche handwerkliche Ausstattung für einen Beruf, der sie permanent an die Grenzen des Risikos, ja der körperlichen und seelischen Selbstausbeutung führen wird.“ Ein Satz, der scheinbar argumentativ daherkommt, dann aber auch wieder nicht: Die Forderung nach der „bestmöglichen handwerklichen Ausstattung“ für Schauspielschüler:innen braucht keine weitere Begründung. Zumal, wenn sie durch das Adjektiv „bestmöglich“ eingeschränkt und im Zusammenhang mit der größten derartigen Lehranstalt des Landes ausgesprochen wird. Die Behauptung, diese bestmögliche Ausbildung sei das Einzige, was die Studierenden „im Grunde“ brauchen, verweist noch einmal auf die mangelnde Notwendigkeit zuvor erwähnter Richtlinien, vertieft aber den logischen Zusammenhang dieser Gegenüberstellung nicht, außer: wenn gemeint ist, diese bestmögliche Ausbildung würde durch erwähnte Richtlinien behindert.

Also gut, gemeint ist: „Antidiskriminierungsrichtlinien behindern die bestmögliche Schauspielausbildung“. Der ironische Tonfall bedeutet nicht, dass das nicht so gemeint wäre, wie es da steht.

Nun haben Größere als ich sich darüber verbreitet, inwiefern Darstellungsverbote wie die Blackfacing-Debatte unsere theatralische Fantasie behindern. Was sie natürlich tun. Aber auch andere, längst existierende (gesetzlich oder kulturell verankerte) Darstellungsverbote tun das. Dennoch sagt niemand: „Wenn wir die Shoah nicht verharmlosen dürfen, ist die bestmögliche Schauspielausbildung nicht mehr möglich.“

Es sagt auch niemand: „Wenn Schauspielschüler:innen nicht erniedrigt oder sexuell belästigt werden dürfen, ist die bestmögliche Ausbildung nicht mehr möglich.“

Moment mal. Sagt das wirklich niemand? Weiter geht es nämlich in dem Text mit der Kritik an der Beschwerde der Studierenden gegen Schauspielunterricht in Privatwohnungen der Dozent:innen. Solchen hat es früher offenbar gegeben, er ist vor allem nach dem Einspruch gegen diese Praxis im vergangenen Jahr immer noch nicht abgeschafft worden. Problematisch war – naturgemäß –, dass bei Schauspiel-Einzelunterricht in Privatwohnungen der Dozent:innen unterschiedliche Intimsphären einander überlagern, so dass es Studierenden noch schwerer als in einem anderen Umfeld fallen musste, Übergriffe kommen zu sehen und zu verhindern. Und zu solchen Übergegriffen kam es in der Vergangenheit. Der Kolumnist schreibt dazu, dass er – als junger Mensch – es sich, „als Ehre angerechnet (hätte), vom Professor eingeladen zu werden.“ Und im nächsten Satz: „Ein Schauspieler, der die geschützten Räume nicht verlassen will, soll sich gleich als Yogalehrer bewerben.“

Genug davon. Wir erfahren natürlich nicht, wie der missverstandene Beruf der Schauspieler:in richtig zu verstehen ist. Wir verstehen allerdings eine Theorie der Schauspielkunst, die noch immer weit genug verbreitet ist, um hier aus ihr heraus im Ton der Überlegenheit Studierende zu verhöhnen.

Diese Theorie lautet in etwa, kurz und hässlich: Wer hart genug fürs Showgeschäft sein will, soll in der Ausbildung schon lernen, Schmerzen auszuhalten und nicht aufzumucken. Schauspieler:innen können nur erstklassig sein, wenn sie sich zuvor dafür haben quälen lassen. Dafür gebe es zahllose Beispiele.

#metoo

Und das nur noch der Vollständigkeit halber (nicht, dass ernsthaft jemand daran zweifeln würde): Schauspieler:innen können erstklassig sein und es abgelehnt haben, sich quälen zu lassen.

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