44 | Spielpläne

WasmachenDramaturg:innen?

Denken Dramaturg:innen sich Spielpläne aus? Und denken sie sich auch die Spielplanthemen aus bzw. das Motto, das dann oft ein Jahr lang am Theater prangt und „Freiheit!“ oder „Solidarität“ oder „Du bist nicht allein!“ lautet. Und in welcher Beziehung stehen Spielpläne und Mottos?

Viele ulkige Anekdoten ließen sich erzählen über Findung und Bedeutung und zuweilen Unsinn dieser Mottos. Darum tun wir das jetzt nicht. (Der berühmte Dramaturg Wolfgang Wiens erklärte einst: „Ein Motto über einer Spielzeit ist ein Anlass schlechte Stücke ins Programm zu setzen.“ Wir kommen gleich nochmal darauf zurück.)

Die ganze Sache ist allerdings doch so kompliziert, dass wir sie hier besser systematisch, kurz und ohne Humor angehen: Ist das Motto oder Thema als Erstes da? Häufig ja, und es sind oft die Intendant:innen, die diese Themen vorgeben. Das tun sie auch schon Jahre vorher (so viel zum Thema „Tagesaktualität“), wenigstens muss man bedenken, dass Theater wie das Landestheater Linz für ihre Spielpläne einen Planungsvorlauf von etwa zwei Jahren brauchen. Dieser Planungsvorlauf ist bei Musiktheatern größer als bei Sprechtheatern. In Mehrspartenhäusern wie in Linz hängen die Sparten planerisch zusammen, weshalb hier auch die Sprechtheatersparten Schauspiel und Kinder und Jugend sich nach den Planungszyklen der Musiktheatersparten richten. Mit Vorlauf von zwei Jahren meine ich den Zeitpunkt, zu dem zwischen Theater und Regisseur:in die Verabredung über eine Zusammenarbeit, den Premierentermin und den Stücktitel gemacht wird. Eine Schauspielpremiere im Frühjahr 2025 müssen wir etwa im Frühjahr 2023 verabreden – spätestens jedoch im Spätsommer 2023, im Herbst beginnen die Verhandlungen mit den Abonnenten-Organisationen, bis dahin sollte alles einmal durchgeplant und idealerweise mit Verträgen abgesichert sein. Natürlich hindert niemand ein Theater und eine Regisseur:in daran, sich so früh sie wollen zu verabreden, das können sie also auch drei oder vier Jahre vor einem Premierentermin tun. Am Musiktheater sind derartig lang laufende Verabredungen üblich. Als der Autor dieser Zeilen dem Intendanten eines Wiener Sprechtheaters kürzlich von dem Linzer Planungsvorlauf erzählte, blieb dem buchstäblich der Mund offenstehen. An einem viel größeren Haus, das nur Sprechtheater anbietet, ist es aus vielen Gründen möglich, kürzerfristig zu planen. Und wenn schon nicht der ganze Spielplan von Monat zu Monat gemacht werden kann, ist es an großen Häusern dennoch manchmal möglich, mit wenigen Monaten Vorlauf aktuelle Projekte ins Programm zu hieven oder Stücktitel zu ändern.

Da ist es schon passiert: Von der schlichten Frage nach dem Spielzeitthema sind wir auf dem kürzesten Weg im Dickicht der Vorausplanung gelandet. Also noch einmal von vorn: Die Intendant:in schlägt ein Thema vor. Die Dramaturg:innen können jetzt darüber nachdenken, welche Titel und Projekte zu dem Thema passen. Dabei haben sie die Warnung Wolfgang Wiens‘ im Ohr (siehe oben): Kein noch so schönes Spielzeitthema rettet ein zwar zu dem Thema passendes, aber langweiliges Stück. Haben Dramaturg:innen und Intendant:in also eine Liste toller Titel, überlegen sie, welchen Regisseur:innen sie sie vorschlagen können. Nun ist das kein Top-Down-Prozess (auf Deutsch: es wird hier nicht einfach von oben nach unten angeordnet, welche Regisseur:in welches Stück macht). Vielmehr sind die Regisseur:innen, die heute größtenteils nicht fest an den Theatern angestellt sind, eine starke, dem Theater gegenüberstehende Instanz in der Spielplanung. Die Theater haben gewachsene Arbeitsbeziehungen zu ihren Regisseur:innen, und diese stehen für die Teams, zu denen außer den Regisseur:innen die Bühnenbildner:innen, die Kostümbildner:innen, Musiker:innen etc. gehören. Diese Teams und die Theater, die mit ihnen arbeiten, brauchen meistens ein paar Jahre, um sich aufeinander einzuspielen. Das heißt auch: War die Zusammenarbeit in der Vergangenheit erfolgreich, wird das Theater sie fortsetzen wollen. War die Zusammenarbeit schwierig, muss sie überdacht, manchmal anders konzipiert werden. Das bedeutet, die bestehenden Arbeitsbeziehungen mit den Regisseur:innen haben für die Theater einen hohen Wert, der auch den Regisseur:innen bewusst ist, weshalb sie sich in Gesprächen über zukünftige Projekte den Theatern gegenüber nicht in einer Abhängigkeitsposition befinden. Und nur die Regisseur:in kann überprüfen, welche Stücke und Projekte für sie wichtig oder reizvoll sind – und umgekehrt: für welches Stück, welches Projekt sie die richtige Regisseur:in sein könnte.

Denken eine Intendant:in und ihre Dramaturg:innen sich also einen Spielplan aus, gibt es eine Liste von Regieteams, die die Intendant:in gern für diesen Plan gewinnen will. Die Intendant:in hat, ehe sie sich mit einer Regisseur:in an den Tisch setzt, daher mehr als einen Vorschlag auf dem Zettel, den sie der Regisseur:in unterbreiten kann. Umgekehrt hat die Regisseur:in ihrerseits eine Liste von Projekten, die sie gern verwirklichen will und für die sie ein Theater sucht. Tatsächlich wird der Spielplan weniger zwischen Intendanz und Dramaturgie ausgedacht, als zwischen den Theatern und den Regisseur:innen ausgehandelt. Dabei kann es durchaus vorkommen, dass die Intendant:in einer Regisseur:in ein Spielzeitthema (oder -motto) nennt und sagt: dafür bräuchte sie noch einen Titel.

In dieser ganzen Rechnung fehlen noch die Autor:innen. Sofern ein Spielplan sich aus schon geschriebenen Stücken zusammensetzt, reden die Autor:innen dabei kaum mit. Die Auswertung von schon uraufgeführten Stücken überlassen die Autor:innen normalerweise ihren Verlagen, und mit denen verhandeln die Theater, wenn sie ein bestimmtes Stück aufführen wollen. Bei den Klassikern spielen noch nicht einmal Verlage eine Rolle. Ein Stück, dessen Autor:in seit mehr als 70 Jahren verstorben ist, gilt als „gemeinfrei“. Das heißt, es gibt keine Rechtsnachfolger:in der Autor:in, die Absichten und Wünsche der Autor:in einklagen kann. (Das ist auch der Grund, warum Klassikertexte im Theater stärker bearbeitet werden können als aktuelle Stücke.)

Wollen Theater aber eine Uraufführung ins Programm setzen, sieht das anders aus. In Anbetracht des oben erwähnten Planungsvorlaufs kann man sich vorstellen, dass viele Uraufführungen noch nicht geschrieben sind, wenn die Theater und die Regisseur:innen sich dazu verabreden. Das heißt, dass in einem solchen Fall das starke Interesse an einer Autor:in an erster Stelle steht und an zweiter das Vertrauen, dass diese schon ein interessantes Stück schreiben wird. Um aber ein noch nicht geschriebenes Stück in einen Spielplan einzubauen, muss die Autor:in mit der Theaterleiter:in und der Regisseur:in mit am Tisch sitzen und mit ihnen alle Parameter besprechen, die für eine Spielplanung bedeutend sind. Und dazu gehört natürlich nicht allein das Spielzeitmotto, sondern auch Termine und Besetzungen: wie viele und welche Schauspieler:innen stehen zu einem bestimmten Zeitpunkt zur Verfügung, wann soll ein Stück herauskommen und bis wann muss es geschrieben sein.

Eine alte Dramaturg:innenweisheit lautet: zu einem guten Spielzeitthema passt eigentlich jedes Stück. Und umgekehrt wird auch ein Schuh daraus: Wenn man sich ein Stück lang genug anschaut, findet man schließlich jedes Thema darin. Tatsächlich gibt es einen Punkt, an dem die Dramaturg:in lieber einschreitet und sagt: nicht jedes Stück muss zum Spielzeitthema passen. Spielpläne setzen sich aus den zahlreichen Beziehungen zusammen, die zwischen Theatern, ihren Künstler:innen und dem Publikum entstehen. Vor allem bilden diese drei einen Resonanzraum für die Gegenwart, die allerdings, so lange die Theaterleute ihren Spielplan machen, noch die Zukunft ist, und sich genauso wenig vorausberechnen lässt, wie die theatralischen Ereignisse, die die Dramaturg:innen in jahrelanger Arbeit planen.

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