Das Thema, über das wir in diesem Zusammenhang noch kaum gesprochen haben, heißt: Frauen. Dabei ist es schwer zu übersehen, dass ein einzelnes Ereignis der jüngeren Geschichte all die zuvor erwähnten Themen angestoßen hat, wie kein anderes: Der Fall Weinstein und #metoo. Alles war darin enthalten: Ausbeutung von Frauen, auch und insbesondere im Showgeschäft, fehlender Respekt im Umgang mit gesellschaftlichen Gruppen, die für schwächer gehalten werden, Machtmissbrauch. Und dann waren ein paar mutige Frauen bereit, den Preis zu zahlen, der darauf stand, wenn man das Schweigen bricht (nämlich: Diskreditierung, Ächtung, Ende der Karriere). Und sie drehten den Spieß um. Und das, was jahrzehntelang von um ihre Position besorgten Funktionären als Schrecken an die Wand gemalt worden war – nämlich dass Frauen einen mächtigen Mann stürzen könnten –, geschah in der Wirklichkeit. Und dieser eine weltweit wahrgenommene Fall schaffte eine Präzedenz, die mit einem Mal das Pendel in die andere Richtung schwingen ließ: Auf einmal konnte es ein Fehler sein, Frauen zu unterschätzen. Oder seine Macht zu missbrauchen. Oder auf Gefühlen von vermeintlich Schwächeren herumzutrampeln.
Aber bleiben wir bei den Frauen und der Frage, inwiefern unser Theatersystem sie gerecht behandelt und repräsentiert. Spoiler: Das tut es nicht. Und zwar strukturell nicht und auf all den Ebenen von Macht und Repräsentation nicht, die wir in den letzten Wochen diskutiert haben. Fangen wir mal an: Frauen bilden statistisch den größeren Teil des Theaterpublikums, außerdem entscheiden sie – gehen sie mit Männern ins Theater – häufiger als diese, welches Stück geschaut wird.
Sehen sie deshalb auch mehr Frauen auf der Bühne? Oder Geschichten über Frauen? Oder Inszenierungen von Regisseurinnen?
Unter den Regisseur:innen machten Frauen zwischen 1995 und 2015 im deutschen Stadttheater 30 Prozent aus. Die Stücke auf den Spielplänen wurden zu 24 Prozent von Frauen verfasst, unter den Intendant:innen machten Frauen in dieser Zeit ein Fünftel aus. Das sind alles leitende Funktionen des Theaters, hier waren Frauen schwach vertreten. Interessanterweise hängt das nicht damit zusammen, dass Frauen in dieser Zeit weniger theaterbezogene Studiengänge oder Ausbildungen abgeschlossen hätten. Sie sind nur nach dem Studienabschluss weniger weit gekommen als ihre männlichen Mitbewerber. In den sogenannten zuarbeitenden Funktionen des Theaters sieht die Frauenquote in derselben Zeit schon anders aus: Unter Assistent:innen und Dramaturg:innen fanden sich jeweils etwa 50 Prozent Frauen. Unter den Souffleusen sogar 80 Prozent. Wo Frauen aber Leitungspositionen einnahmen (als Regisseurinnen oder Theaterleiterinnen) taten sie dies eher auf den kleineren Bühnen, oder bei den Kinderstücken, waren Intendantinnen der kleineren Theater, Off-Theater, oder Kindertheater. Auch in Leitungspositionen verdienten Frauen am Theater also weniger Geld. Ein schönes Beispiel ist das typische Leading Team, also das Team aus Regisseur:in, Bühnenbildner:in, Kostümbildner:in, das es in jeder Stückproduktion geben muss. Die Positionen des Regisseurs und des Bühnenbildners sind in der Mehrzahl männlich besetzt, die Kostümbildnerin ist hingegen öfter eine Frau. Raten Sie mal, welche dieser drei Funktionen durchschnittlich die am schlechtesten bezahlte ist.
Einen Gender-Pay-Gap gibt es statistisch gesehen in unserem System auch zwischen Schauspielerinnen und Schauspielern. Außerdem kommen die meisten Sprechtheater in ihren Ensembles auf eine Frauenquote von einem Drittel. Zwei Gründe für diese Verteilung werden angeführt, die die Problematik klarer machen: Erstens sind Ensembles gewachsene Strukturen. Niemand möchte altgediente Schauspieler entlassen, weil sie männlich sind. Umgekehrt die Quote ausgleichen, indem man Anfängerpositionen nur mit Frauen besetzt, wäre ebenfalls bizarr. (Dann würden irgendwann die jungen Frauen nur noch mit alten Männern spielen.) Zweitens verlangt die klassische Literatur, die die Stütze und der Auftrag unseres Theatersystems ist, einen deutlichen Männerüberhang. (Typisches Personenverzeichnis eines Schiller-Stücks: 25 Herren, drei Damen.) Und da wir schon mal hier sind, kommen wir nicht daran vorbei, auch von der inhaltlichen Repräsentation der Frauen auf der Bühne zu sprechen – insbesondere in den heiß geliebten Klassikern. Frauen sind hier nicht nur zahlenmäßig unterrepräsentiert, auch die klassischen Erzählungen handeln häufiger von Vatermord und Bruderzwist oder Wettkampf der Rivalen als von Müttern, Töchtern, Königinnen und so weiter. Natürlich kommen Frauen in diesen Rollen vor, aber fast immer bezogen auf männliche Hauptfiguren. Der Kampf der Königinnen in Maria Stuart ist die Ausnahme. Das widerspenstige Käthchen in Shakespeares Taming of the Shrew, dem ihr Ehemann mit körperlicher Gewalt zeigen muss, wo es langgeht, leider eher nicht. Es hilft alles nichts, es braucht eine Evolution auf allen Ebenen des Theaters, auch und insbesondere in den Erzählungen, die uns die Welt nicht mehr nur aus einer männlichen Perspektive zeigen können. Und alle werden davon profitieren. Die Zahlen, die ich oben angeführt habe, stammen aus der Studie des Deutschen Kulturrats Frauen in Kultur und Medien aus dem Jahr 2016. Wer die öffentliche Debatte verfolgt, kann manchmal den Eindruck haben, die Theaterwelt stünde seitdem Kopf, der oben beschriebene Geschlechterproporz hätte sich unterdessen genau einmal umgekehrt. Das ist aber nicht der Fall, insbesondere nicht in den konkreten Zahlen. #metoo war ein guter Tag im Kampf der Frauen für mehr Sichtbarkeit in der Kultur, die realen Verhältnisse verändern sich auch weiterhin nur langsam.
Ach ja, es war Les Miserables. (Wo der berühmte Satz steht.)