23 | Die guten alten schlechten Angewohnheiten

WasmachenDramaturg:innen?

Nun haben wir in drei Teilen das Thema Theater und Macht in handlichen Paketen abgefrühstückt. Aus der Innenperspektive ist die selbstkritische Revision, die die deutschsprachigen Bühnen gerade durchmachen, allerdings ein Riesenthema, das auch noch an viele andere Gebiete – Gendergerechtigkeit, politische Korrektheit, kontaminierte Klassiker usw. – angrenzt. Die Theater werden damit also so bald nicht fertig sein. Einige der erwähnten angrenzenden Themen sollten wir uns in den nächsten Wochen auch noch anschauen.

Wie aber jede Bewegung ihre Gegenbewegung provoziert, wurden speziell im Zusammenhang der Frage nach dem Machtmissbrauch rasch warnende Stimmen laut, die fragten, ob dergleichen Selbstkritik das Theater nicht womöglich in seiner Substanz gefährde. Ob hier nicht das Kind mit dem Bade ausgeschüttet werde. – Nun hätten Arbeitsrechtler schnell bemerkt, dass die sogenannten Selbstverpflichtungen, die viele Theater sich auferlegten (auch das Landestheater Linz), völlig konform gingen mit längst bestehenden Gesetzen und Kompliance-Regeln, wie sie in der freien Wirtschaft schon seit Jahren durchgesetzt sind. – Allerdings wurde gefragt, ob das Theater in der Arbeitswelt nicht eine Ausnahme darstelle, gerade weil es Grenzen überschreiten müsse, weshalb auch die Grenze zwischen Rolle und Realität – nicht nur unter Schauspieler:innen, auch zwischen Schauspieler:innen und Regisseur:innen – oft nicht scharf gezogen werden könne. Selbst einige Journalist:innen schrieben, das Theater sei eben „kein Ponyhof“ (Michael Laages). Dazu wurde argumentativ besonders eine ganz bestimmte Probensituation herangezogen, wenn nämlich eine Regisseur:in eine Schauspieler:in anspräche, dabei jedoch eher zu der Rollenfigur als zu der Schauspieler:in spräche – um diese oder diesen nicht aus ihrer Rolle herauszureißen. Dabei könne dann der Regisseur selbst gleichsam eine Rolle annehmen, die in ihrem Rollenspiel womöglich emotional, wertend, ablehnend oder bestätigend agiere, wobei dem Regisseur dies Rollenspiel nicht als Verstoß gegen seine Pflichten ausgelegt werden dürfe, denn es sei ja Teil des Spiels, auf dem alle Theaterspiele aufbauten. (Tatsächlich ging vor kurzer Zeit der Fall eines Regisseurs durch die Presse, der einen Schauspieler während der Proben nur als „Sklaven“ angesprochen hatte, weil der angeblich die Rolle eines Sklaven spielte.)

Hier muss nun die Bemerkung erlaubt sein, dass viele Menschen, die mehrere Jahre ihres Lebens auf Theaterproben rumgesessen haben, die oben beschriebene Situation (in der der Regisseur selbst eine Rolle spielt) in dieser Form selten oder nie erlebt haben. Die meisten Regisseur:innen reden mit den Schauspielern als Schauspieler und nicht als Rollenfiguren. Und die ganze Konstruktion schmeckt ein wenig so, als sollten Grenzen verwischt und der Eindruck erweckt werden, als sei Machtmissbrauch (wenigstens, wenn er im Theater vorkommt) ein mit bloßem Auge kaum zu unterscheidendes, ephemeres Phänomen, das von echten kreativen Vorgängen so schwer zu trennen sei, dass der, der sich gegen das eine wendet, stark gefährdet sei, auch das andere mit auszureißen. Machtmissbrauch als Interpretationsproblem: Wer befindet sich in welcher Rolle gerade jenseits welcher Grenze, oder ist er vielleicht gar nicht jenseits einer Grenze, sondern immer noch auf dieser Seite. Und jetzt mal aus dem Nähkästchen geplaudert: das, was früher im Theater Gutsherrenart genannt wurde, kam selten subtil oder ephemer daher, sondern fast immer dick und fett. Und das nicht nur in Fällen, wo klar Gesetze übertreten wurden, sondern auch da, wo sich die Gutsherrenartigen irgendwo im Rahmen dessen, was eh akzeptiert und schwer zu inkriminieren gewesen wäre, bewegten. Die meisten Fälle dieser minder schweren Art würden heute trotzdem einfach Mobbing heißen. Origineller war da schon der Regisseur, der sich nachts beim Trinken einsam gefühlt hätte, weshalb er seine Proben auf den Zeitraum zwischen 19 Uhr und ein Uhr nachts legte. Weniger originell die Regiekollegin, die die Assistentin für sich einkaufen schickte, weil eine Künstlerin selbst nicht dazu kommt. Oder der Regisseur, der inhaltlichen Diskussionen mit den Schauspieler:innen lieber aus dem Weg ging, weshalb er weiblichen Schauspielerinnen, die ihn nach ihrer Rollenfigur fragten, nur in vorwurfsvollem Tone zurief: „Ich weiß gar nicht, was du hast: Du siehst fantastisch aus!“ War der Fragende ein Mann, rief er: „Verstehst du irgendwas in deinem Text nicht? Wir können gern hinauf zum Intendanten gehen und gemeinsam mit ihm lesen: nämlich deinen Vertrag!“ Die schärfere Gangart davon war die bei regieführenden Intendanten nicht selten vorkommende Reaktion auf diskutierende Schauspieler: „Gehen Sie in den zweiten Stock und lassen Sie sich die Papiere geben.“

Na gut, wer es unbedingt will, kann auch dergleichen ein „Rollenspiel“ nennen. Das von Herr und Knecht.

Wir wollen diese dunklen Zeiten auch sofort wieder vergessen. In Anbetracht der oben angesprochenen Versuche, diese rauen Sitten in Grund und Boden zu relativieren, aber muss es einmal festgehalten werden: Solcher Umgang war gängige Münze und gar so lange sind die Zeiten auch nicht her. Und nebenbei gesagt: Kunst und Kreativität sehen sich keiner sehr großen Gefahr ausgesetzt, wenn Funktionsträgern auch im Theaterbetrieb grundlegende Benimmregeln nahegelegt werden. Oder anders: Gerade weil das Spiel im Theater manchmal Grenzen überschreitet, braucht es ein Umfeld, das von Respekt und Vertrauen bestimmt ist.

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