22 | Die Macht im Theater

WasmachenDramaturg:innen?

Im letzten Teil haben wir gesehen, dass das Theater auf die eine oder andere Art immer schon vom Staat abhängig war (und wo kein Staat war, waren Fürsten) – beziehungsweise abhängig gehalten wurde. (In einer Gesellschaft mit bedingungslosem Grundeinkommen wäre natürlich auch das Theater frei.) Das Wesen dieser Abhängigkeit bestand stets in der Kontrolle über die Inhalte des Spiels. Diese Zensur wurde dadurch erleichtert, dass die Theater entweder ein Repertoire geschriebener Stücke hatten oder Improvisationen, die aus wiederkehrenden Versatzstücken bestanden. Wer die Kontrolle über diese Texte hatte, hatte auch die Macht über die Köpfe der Zuschauer:innen.

Die Herrschaft über das Theater drückte sich jedoch auch darin aus, dass die Kompagnien und Theaterhäuser in ihren inneren Strukturen, also ihrer Organisation, die äußeren Machtstrukturen reproduzierten. Nicht umsonst bezeichnete der Titel Intendant ursprünglich ein Hof- oder Militäramt. Das führt uns zu der dritten Ebene der Macht, die hier eine Rolle spielt: zu der Macht innerhalb des Theaters. Die gerade angesprochene Herleitung zeigt sie als Fortsetzung der Macht außerhalb und über dem Theater. Und die Macht über dem Theater will ihre Strukturen und Werte auch im Theater nachgebildet sehen. Denn wenn der Theoretiker Marshall McLuhan recht hat, ist das Medium die Message, was – auf das Theater übertragen – hieße: es sind nicht die Stücktexte und Inhalte, die Politik machen, sondern die Produktionsstrukturen der Theater, die sich auf der Bühne aussprechen und sich auch dort nicht verbergen können. Das Theater stand also stets unter dem Druck, die Machtstrukturen der sie umgebenden Gesellschaft zu übernehmen. Das fällt insbesondere dann auf, wenn die Methoden der Machtausübung im Theater nicht mehr auf dem neuesten Stand sind. Und in eben dieser Situation finden sich die Bühnen heute wieder.

Strukturen im Theater sind in langer Zeit gewachsen und einiges daran ist heute nicht mehr zeitgemäß. Verhaltensweisen, die wir heute als Missbrauch und Überschreitung sehen, werden von älteren Theaterleuten als das frühere Normal empfunden. Man könnte sagen, hier begegnen sich Epochen, die in der Gesellschaft nicht unmittelbar aneinandergrenzten, dieses im Theater aber gerade tun: die Gesellschaft hat durch die #Metoo-Bewegung einen Sensibilisierungssprung nach vorn gemacht, dem sich die Theater nicht entziehen können. In deren Innerem jedoch stößt die neue Sensibilität für Machtstrukturen und -gebrauch auf Umgangsformen, die auf frühere Jahrhunderte zurückdatieren, was damit zusammenhängt, dass die Theater stark in ihrer Tradition wurzeln und sich intern nur langsam umstellen. Und wohlgemerkt: Es war nicht alles gut, was sich in früheren Jahrhunderten oder Jahrzehnten hinter den Kulissen abspielte. (In der letzten Episode erwähnte ich Ferdinand Raimund und die Tatsache, wie stark sein Leben von Gewalt und Missbrauch geprägt war. Er mag stellvertretend für die Leben vieler Bühnenmenschen stehen.) Und schon vor #Metoo bemerkten zahlreiche Theaterschaffende, dass sich der Innenraum vieler Theater weit von der gesellschaftlichen Realität draußen in der Welt entfernt hatte. Manche nahmen das als Freiraum wahr (der es auch war – der Wilde Westen war ja auch ein Freiraum). Bei manchen Funktions- und Verantwortungsträgern führte das auch zu einer Wurschtigkeit gegenüber den real existierenden Strukturen ihrer Häuser, die sie vor der Öffentlichkeit kaum hätten rechtfertigen können, wären sie dort allzu offenbar geworden. Was sich aber meist vermeiden ließ. Mancher Theaterleiter zog sich auch darauf zurück, zu finden, seine Macht sei ja gar nicht so groß. Dabei mag er daran gedacht haben, dass Angestellte einiger Abteilungen durch gewerkschaftlichen Schutz und Arbeitsmarktverhältnisse vom Theater nicht besonders abhängig waren. Techniker und Kunsthandwerker:innen, die in den Werkstätten und auf den Bühnen arbeiten, sind oft auch in anderen Branchen gefragte Spezialist:innen, die sich nicht von jedem Theaterzampano auf der Nase herumtanzen lassen mussten.
Bei einem wichtigen Teil der Belegschaft der Theater sieht das aber anders aus: bei den Schauspieler:innen. Ist eine Schauspielerin, ist ein Schauspieler erst einmal ein Star, kann dem auch kein Intendant mehr etwas husten. Aber bis zu diesem Punkt sind die Biografien vieler Künstler:innen des darstellenden Fachs prekäre Zonen. Insbesondere befindet sich im Hintergrund der fest engagierten Ensembles ein großer Markt von freien Schauspieler:innen in oft prekären beruflichen Verhältnissen. Und das führte dazu, dass Schauspieler:innen sich leichter abhängig von ihren Arbeitgeber:innen fühlen, eher erpressbar sind, Grenzüberschreitungen häufiger hinnehmen.

Die hier umrissene Situation war jahrhundertelang ein sprudelnder Quell immergrüner Theaterankedoten und Skandale. Viele Theaterschaffende werden ihr dennoch wenig Tränen nachweinen, sollte sie irgendwann überwunden werden. Und das bringt uns auf das Thema Subvention zurück: Wir sprachen davon, wie die öffentliche Hand und in früheren Jahrhunderten Potentaten meist die Subventionsgeber der Theater waren. Es gibt einen zweiten, ungefähr genauso wichtigen Subventionsgeber des Theaters, der das Theater trägt und unterstützt jenseits wirtschaftlicher Vorbehalte: die Künstlerinnen und Künstler, die sich oft genug selbst ausbeuten.

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