28 | Diskurs und Quote

WasmachenDramaturg:innen?

Evolution unseres Theaters lautete die Forderung in der letzten Woche. Und Evolution ist nicht genau dasselbe wie Revolution, sie ist eher: Revolution, aber langsam. So langsam, dass sie niemandem wehtun muss. Und Evolution, klar, wollen sowieso alle. Es kann ja nichts so bleiben, wie es ist. Bleibt nurmehr die Frage: Evolution wohin? Und auch da könnte man meinen, solange ein Projekt der Aufklärung bestand, hätte es im Stadttheatersystem einen breiten Konsens gegeben, dass 1.) das Theater Teil dieses Projekts sein müsse und dass 2.) der Ruf nach „Aufklärung“ notwendig mit gewissen Grundbekenntnissen einhergeht, nämlich denen zu einer gerechteren, humaneren, an einem freien Diskurs interessierten Gesellschaft.

Und von diesen Bekenntnissen, sollte man wiederum meinen, ließen sich bestimmte Mindestforderungen ableiten, die sich im Zusammenhang mit Humanität, Gerechtigkeit und Freiheit kaum umgehen ließen. So die Abschaffung von Benachteiligung aufgrund von Geschlechterzugehörigkeit. Die Abschaffung von Benachteiligung aufgrund von Zugehörigkeit zu Minderheiten. Die Vermeidung von humanitären Katastrophen aufgrund unkluger Vergeudung von Ressourcen. Diese bloß herausgegriffenen Ziele müssten – mindestens im Stadttheater – auf einen breiten Konsens stoßen. Sollte man meinen.

Nun sprachen wir zuletzt auch schon von der Abhängigkeit unseres Theatersystems von seinen Klassikern. Und ich habe mich in Ansätzen daran gemacht, herauszufinden, inwiefern diese Klassiker den oben genannten Zielen oft nicht mehr genügen. Dazu habe ich ein paar eindeutige Fälle herausgegriffen, bei denen sich nun gar nicht übersehen ließ, wie sehr sie an den Zielen vorbeischießen. Darauf schrieb mir eine Freundin: Und was ist mit den anderen Klassikern? Sind die etwa besser? Und genau hier nähern wir uns der Bredouille, in der das Stadttheater heute steckt. Die anderen Klassiker sind natürlich etwas besser. Wenn wir genau hinschauen, finden wir aber auch in Paradestücken der Aufklärung Rassismus und patriarchales Denken. Kleines Beispiel: Emilia Galotti. Das Sturmgeschütz des Antifeudalismus. Eine leicht modernisierte Anekdote aus der römischen Geschichte des Livius, aus der Zeit der Abschaffung des Königtums. Die Tochter eines anerkannten Bürgers wird von einem Fürstensohn vergewaltigt. Darauf bringt sie sich um, nicht ohne vorher ihren Schänder angezeigt zu haben. In der Folge stürzt die Monarchie und wird durch die Republik ersetzt. Brillant zeigt Lessing nun, wie Fürstenwillkür auch zweitausend Jahre später funktioniert. Durch Gefühlskälte und Langeweile und vorauseilenden Gehorsam. Psychologie der Hofschranzen und überforderten Prinzen. Ein Stück voller Themen, die wir heute dringend auf der Bühne sehen möchten. Und dann gibt es die Hauptfigur: Emilia. Bei Lessing gibt sie an, gar nicht vergewaltigt, sondern verführt worden zu sein. Das findet sie zwar auch schlimm („Ist nicht Verführung die wirkliche Gewalt?“), aber immerhin – sie betrachtet sich selbst in dieser Angelegenheit als Mittäterin. Weil sie aber ihre Ehre vor dem Vater (und dem toten Verlobten) befleckt findet, bittet sie den Vater, sie zu töten. Ihrer eigenen Definition folgend in einem Ehren-Mord. Der Vater kommt der Bitte nach. Hmm. Ist das immer noch ein Stück gegen korrupte Obrigkeit? Müsste nicht Emilia erst einmal von ihrem Vater und seiner patriarchalen Denkart befreit werden, ehe irgendein Prinz gestürzt wird? Klassischer Regieausweg der 70er und 80er Jahre: Man zeigt einfach, dass alle auf dem Holzweg sind oder im Zweifelsfall die Bürger noch verblendeter sind als der Adel. Bravo: damit hätte man das Stück in der beabsichtigten Grundtendenz genau einmal herumgedreht: Solang die Bürger solche Trottel sind, halten wir uns lieber an den libertären, wenn auch sittenlosen Adel. Außerdem legt diese, immerhin noch textgetreue Lesart, einen großen Teil der Anteilnahme an den Hauptfiguren lahm und damit auch den Spannungsbogen. Man ist von dieser Art der Auslegungsmethode weggekommen, auch weil sie, wie gerade beschrieben, die Stücke als Generatoren von Gefühlen und Sympathien (und damit als Publikumsmagneten) beschädigte. Und anstelle von Emilia Galotti könnten wir hier auch Kabale und Liebe oder Sara Sampson auseinandernehmen, immer mit einem ähnlichen Ergebnis.

Was taten nun die folgenden Generationen von Theatermacher:innen? In den 90er und Nuller Jahren flüchteten sie – wenn es um die Bewirtschaftung der Klassiker ging – mit Vorliebe in die Ironie. Also, einfach lachen, wo man früher mitgefiebert hätte. Irgendwann ist aber auch dieser Reifen runter. Und nun? Eine beliebte Methode würde ich so umschreiben: Wir spielen noch immer unsere Klassiker, die Zuschauer sehen die Stücktitel im Spielplan, sagen: „Ah! Maria Stuart!“ oder „Ah! Die Räuber!“ und die Theaterleute versuchen, diese Zuschauer einerseits nicht zu enttäuschen, andererseits die heiklen Stellen in den Stücken zu umschiffen, ohne Schiffbruch zu erleiden: Sie konzentrieren sich auf die ewig gültigen Aspekte. Kleiner Haken: Die Klassiker machen da nicht immer mit. Eine alte Dramaturg:innenweisheit lautet: Das Stück setzt sich durch. Wenn du dem Stück nicht glaubst, lass lieber die Finger davon. Und genau das ist ein Dilemma des ganzen Systems. Es kann nicht die Finger von den alten Texten lassen, obwohl wir sie längst nur noch als Fragmente schätzen, sie kaum noch jemals in der Ganzheit ihrer Weltanschauungen beglaubigen und tragen können.

Na gut, also her mit den Überschreibungen und den neuen Stücken. Das wollen ja auch die Feuilletons und Zielvorgaben der politischen Findungskommissionen zur Bestellung unserer Theater (wenn man sich die einmal durchliest). Auf der anderen Seite wird, gar nicht unberechtigt, von denselben Medien und Gremien immer lautstärker gefordert (und zwar insbesondere seit Corona), nicht am Publikum vorbeizuproduzieren. Das Theater nicht zu überfrachten mit politischen Agenden, die das Publikum nicht interessieren. Wiederum nicht ganz ohne Berechtigung wird in dem Zusammenhang immer häufiger auf Bühnen hingewiesen, die zwar Feuilletonsieger und Preisträger sind, aber ohne starken Publikumszuspruch. Hier also das Projekt der Aufklärung, in seiner ganzen Zumutung und Herbheit, dort die Forderung nach Rettung und Sanierung der Theater mit den Mitteln der Versöhnung und Behübschung hergebrachter alter Texte. (Denn genau die sind es ja, die am besten ziehen.) Woraus folgt: Mischkalkulation. Bisschen Aufklärung, bisschen das Gegenteil. Oder irgendwas dazwischen.

Das was den Theatern heute aber immer wieder und am brennendsten vorgehalten wird, ist der Vergleich mit der Epoche, die dieses System am stärksten prägte: die Zeit von kurz vor der französischen Revolution bis zur Märzrevolution von 1848, und da heißt es sinngemäß: Damals hatten die Theater noch etwas zu sagen, das hat ihre Stärke ausgemacht. – Auf die Gefahr hin, kleinlich zu erscheinen: auch in dieser Zeit spielten die großen Bühnen völlig anderes (restauratives) Hoftheater, das die Fürsten weiter ruhig schlafen ließ und das Publikum begeisterte. Und heute haben wir eine immer mehr gespaltene, gerade im Diskurs zerrissene Gesellschaft, die sich – geben wir es zu – noch nicht einmal auf die drei oben angebenden Kernbekenntnisse der Aufklärung einigen kann. Wie aber sollen die Theater diesen Riss dann kitten?

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