20 | Theater und Macht

WasmachenDramaturg:innen?

Weil die letzte Folge schon viel zu lange her ist, möchten wir nun wieder starten und die Reihe „Was machen Dramaturg:innen?“ auf unserem Blog fortsetzen. Jede Woche gibt Andreas Erdmann, leitender Schauspieldramaturg, in seiner Kolumne wieder spannende Einblicke in die Welt des Theaters und die Arbeit eines/einer Dramaturg:in. Die ersten der neuen Folgen widmen sich dem Thema „Theater und Macht“ und beleuchten deren Verhältnis auf und hinter der Bühne.

Immer wieder hört man im Zusammenhang mit dem Theater von dem Thema Macht. Erst recht seit Machtmissbrauch, Compliance und #MeToo die gesamte Arbeitswelt neu aufrollen. Wie soll da das Theater – und natürlich die Kulturszene – außen vor bleiben? Trotzdem scheint in der Beziehung zwischen dem Theater und der Macht mehr zu liegen als die reine Tatsache, dass Macht ja sowieso immer ein Thema ist.

Nachdem wir allerdings beschlossen haben, diesen Blog ab jetzt auf eine Lesedauer von höchstens drei Minuten pro Folge zu beschränken, will ich mich dem Thema dennoch langsam nähern und Kapitel für Kapitel vorgehen. Denn Macht spielt im Theater auf verschiedenen Ebenen eine Rolle: auf, über und hinter der Bühne, in den Stücken und jenseits davon. Also beginnen wir mit:

Macht als Thema auf der Bühne. Klar: Theater ist der Stachel im Fleisch der Mächtigen (sagt Claus Peymann) und erzählt sehr oft von Macht und Potentaten. Und das ist ursprünglich sogar geregelt in der sogenannten Ständeklausel: von der Antike bis zur französischen Revolution (oder kurz davor) sind tragische Figuren auf der Bühne Königinnen oder Könige oder wenigstens von Adel. Das gemeine Volk darf in Komödien dargestellt werden. Die Ständeklausel konstatiert seit Aristoteles, dass nur Könige und Halbgötter tragisch scheitern können, weil nur sie die notwendige „Fallhöhe“ besitzen. Das Straucheln eines Königs oder gar sein Untergang erzeugen aber stets eine Erschütterung in der Macht (wie Meister Yoda sagen würde). Und wenn jedes Trauerspiel den Untergang eines Potentaten zeigte, könnte man der Meinung sein, bot es eine Plattform für Kritik an solcher Art Regierung. Oder steckte in der Vorstellung von den tragischen Figuren (im Gegensatz zu den untragischen in den niedrigeren Ständen) nicht immer auch eine grundsätzliche Bestätigung von Monarchie und Gottesgnadentum?

In Aristoteles‘ Version der „Ständeklausel“ war gar nicht die Rede von König:innen und Aristokrat:innen, sondern davon, dass nur „schöne“ Menschen den Gegenstand einer Tragödie bilden können. Aus dem literarischen Zusammenhang wissen wir, dass diese „schönen“ Menschen auf der Bühne stets Aristokraten waren. Da lässt sich die Affirmation aristokratischer oder monarchischer Verhältnisse nicht mehr so leicht übersehen.

Auch wenn in Hinsicht auf den Autor William Shakespeare die Debatte, ob denn dessen Königsdramen doch nicht mehr als subversiv denn als affirmativ verstanden werden müssen, eine Art dramaturgisches perpetuum mobile darstellt.

Die große Wende kommt mit dem Bürgerlichen Trauerspiel (Lessing). Auf einmal stehen bürgerliche junge Damen auf der Bühne, die die Nachstellungen eines übergriffigen Adels leiden müssen. Wenn man genau hinschaut, sind die Hauptfiguren dieser Stücke immer noch adlige Männer (Prinz von Guastalla, Mellefont, Ferdinand von Walter). Die Kritik liegt eher auf der Ebene der Erzählung: dass die Adelsklasse abgewirtschaftet neben einem aufstrebenden Bürgertum erscheint. Bis zur schlussendlichen Überwindung der Ständeklausel dauert es dann also noch – na – sagen wir: hundert Jahre. In Büchners Woyzeck sind tatsächlich die prekären Gestalten des feudalen Zeitalters Tragödienhelden, während die besser gestellten als komische Figuren erscheinen.

Ist die Ständeordnung im Theater (und der Populärkultur) damit überwunden? Spielen wir keine Königsdramen mehr? Sind unsere Helden nicht noch immer häufig Auserwählte (auserwählt von wem?), hinter deren vermeintlich niederer Herkunft sich eine besondere (königliche) Abstammung verbirgt?

Und warum ist das wichtig im Zusammenhang mit dem Theater und der Macht?
Weil die größte Macht des Theaters immer noch in dem liegt, was es auf der Bühne an Ideen aussät.

In Zeiten vor der Zeitung, vor dem Rundfunk und dem Internet, in denen das Theater das wichtigste oder das einzige Massenmedium war, leuchtet das jedem ein. Aber es gilt auch heute noch: Nicht Kritiken, nicht der Starrummel, nicht der Größenwahn von Regisseur:innen sind der nachhaltigste Eindruck, den Theater in unserer Gesellschaft hinterlässt. Es sind seine Geschichten.

Und weil die (aus diesem Grunde) so brisant sind, interessierte auch die wirkliche Macht der Gesellschaft sich stets für das Theater. Aber dazu nächste Woche.

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