16 | Werktreue

16 | Werktreue

  • 27. März 2020
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  • Text: Andreas Erdmann

Nachdem wir in den letzten Teilen unseres Blogs viel über die innere Verfassung unserer Stadttheater gehört haben, über den Preis, den die Theaterschaffenden für die Wahl ihres Berufes zahlen, über die Rolle, die die Direktor*innen in diesem System spielen, wäre es heute eigentlich daran gewesen, auf die Kritik einzugehen, die (auch) aus dem Inneren dieses Systems kommt, und die, mitunter aus verschiedenen Richtungen, meistens auf die Machtverteilung und den Machtgebrauch im Theater zielt.

Tatsächlich ist das kein ganz leichtes Thema, das auch einige der Grundfesten dieses Systems in Frage stellen mag.

Da im Augenblick aber durch äußere Umstände – die aktuelle Folge dieses Blogs erscheint in der vorstellungsfreien Zeit der Corona-Krise – ohnehin einige Grundgewissheiten unseres alltäglichen Lebens wie in Frage gestellt scheinen, möchte ich das Machtthema um einige Episoden aufschieben und heute stattdessen einen Evergreen vornehmen, der eigentlich keine Dramaturg*in und keine Theatebesucher*in kalt lassen kann: Es ist das Thema „Werktreue“.

Werktreue ist der Widerpart zum Regietheater, keine Diskussion über das das eine kommt ohne die andere aus. Darum habe ich eine Äußerung zu diesem Thema auch schon längst versprochen. Doch so nebulös der Begriff „Regietheater“ ist, sobald man ihn zu fassen sucht, als so amorph erweist sich auch die Werktreue, sobald man sucht, ihr mit Definitionen nahzukommen.

Bei der Werktreue beginnt es schon damit, dass der Begriff eine uralte Geschichte hat. Schon Schiller und Goethe schlugen sich damit herum. Dann ist die Idee womöglich stark geprägt durch Konventionen des Musiktheaters, wo die Werktreue einfacher zu konstatieren sein mag: Als Eingriff in das Werk gilt jede Änderung an der Partitur; wenn also Sprech- und Notentext gekürzt werden, wenn Tempi abgewandelt werden, dann beginnt eine Opernaufführung „nicht werkgetreu“ zu sein. Und das gilt schon für Partituren aus dem Barock, dem gegenüber stehen im Sprechtheater der Epoche die meist schlampigen Notate eines Shakespeare oder Goldoni, in denen wichtige Bühnenereignisse wie Pantomimen, Improvisationen, Interaktionen mit dem Publikum gar nicht dokumentiert werden und im glücklichen Fall nur durch mündliche Überlieferung überlebt haben. Im Film wiederum ist die Sache mit der Werktreue noch einfacher: Da das Kino – per Definition – so gut wie alles, was ein Buch enthalten kann, bebildern könnte (wenn es wollte), da es – dem gegenüber – aber gerade literarische Vorlagen durch Neuerfindung von Figuren und Szenen gerne umschreibt, gibt es bei Verfilmungen von Vorlagen meist starken Konsens in der Frage, wie werktreu oder werkungetreu diese geraten sind.

Das alles scheint nun beim Theater (Sprechtheater) nicht so einfach. Dabei gibt es theoretisch einen mehrere Jahrhunderte überspannenden Konsens der Theaterdenker von Johann Wolfgang Goethe bis Erika Fischer-Lichte: Bereits Goethe meinte – kurz gefasst – dass im Sprechtheater nicht die Literatur, sondern die Aufführung im Zentrum stehe. Fischer-Lichte deutscht das 1985 dahingehend aus, dass der Stücktext im Theater nicht als abgeschlossenes Werk gemeint ist, sondern eine Aufführung beabsichtigt. Was in beiden Fällen heißt: die Aufführung kann der Idee des Autors „treu“ bleiben, auch wenn Kürzungen, Veränderungen, Abänderungen am literarischen Text vorgenommen werden. Und umgekehrt: Die Aufführung kann die Idee der Vorlage verfehlen, auch wenn alle Worte in der originalen Reihenfolge ausgesprochen, alle Szenenanweisungen erfüllt werden. So weit, so gut. Und scheinbar haben wir das Problem damit vom Tisch. Wenn nicht der Schönheitsfehler bliebe, dass der Konsens über Werktreue im Sprechtheater eine riesige Definitionsunschärfe ließe, wann nun eine Aufführung demnach als werkgetreu und wann sie nicht als werktreu gelten darf. Wenn man in die Erklärung der Theaterwissenschaftler*innen genau hineinhört, kann man eigentlich nur festhalten, dass sie – von Goethe bis zur Postdramatik – das Thema Werktreue im Sprechtheater nicht so wichtig finden. Denn das Werk liegt auf der Bühne, nicht im Textbuch. Es lässt sich also leichter die Werktreue der Fernsehaufzeichnungen einer Theateraufführung ermitteln als die Werktreue der Theateraufführung eines klassischen Dramentextes.

Warum belasten wir uns überhaupt mit dem Begriff? Aber tun wir das? Nun gut, in vielen Aufführungsverträgen – das sind die Verträge, die die Rechtevertreter der Autoren mit den Theatern über Aufführungen ihrer Stücke abschließen (so die Autoren am Leben oder noch nicht länger als 70 Jahre tot sind) – in vielen Aufführungsverträgen also findet sich der Passus, dass ein Stück „werkgetreu zur Aufführung zu bringen sei“. Das heißt, selbst wenn die Theaterwissenschaftler*in das Thema Werktreue in der Theorie elegant in Luft auflösen kann, ist es nach deutscher Gerichtspraxis sogar justiziabel, also: nicht nichts. Wie sehr Theaterwissenschaft (und sogar deutsches Feuilleton) und deutsches Recht in diesem Punkte auseinanderklaffen, zeigte der Streit um die Münchner Inszenierung von Bert Brechts Stück „Baal“ durch den Regisseur Frank Castorf im Jahr 2015. Castorf hatte eigentlich nichts anderes getan als er seit 35 Jahren tut: Er hatte einen bekannten Stücktext durch allerlei Regieerfindungen und interessante Einlagen sowie durch zusätzliche Texte anderer Autoren auf eine Spieldauer von vielen Stunden ausgewalzt, und die Erben Bertolt Brechts taten nichts anderes als auch sie seit vielen Jahrzehnten taten: nämlich verlangen, dass eben dies bei Stücken ihres Autorenvaters zu unterlassen sei. Die Theater hatten diese Einstellung der Brecht-Erben jahrzehntelang belächelt, wenn es allerdings zum Schwur (zur Aufführung der Stücke Brechts) kam, immer nachgegeben und sich alle unerwünschten Zutaten verkniffen. Nicht so Castorf (und im Hintergrund der Münchner Intendant Martin Kusej, der die Aufführung ermöglicht hatte): Castorf erklärte (ganz nach Goethe) seine Aufführung zum Werkoriginal und untersagte seinerseits, sie in reduzierter (um seine Zutaten zu Brecht reduzierter) Form weiterzuspielen. Und hinter Castorf stand nicht nur sein Intendant, sondern das gesamte deutsche Kulturfeuilleton, das erklärte, so könne man nicht mit dem Werk eines Regiegenies wie Castorf umgehen. Die Aufführung wurde sogar – trotz des Rechtstreits – zum Theatertreffen in Berlin eingeladen. Sie durfte nur nicht mehr gezeigt werden. Denn „pacta sunt servanda“, selbst im deutschen Rechtssystem, und vor Gericht hat der Begriff der Werktreue offenbar mehr Bestand als im Boudior des deutschen Bildungsbürgers. Der Streit offenbarte jedoch auch, wie tief der Unglaube an Werktreue in der deutschsprachigen Theaterkultur reicht. Derselbe Unglaube erzwang schließlich sogar einen Vergleich mit den als unerbittlich geltenden Brecht-Erben: zwei letzte Aufführungen der inkriminierten Castorf-Inszenierung wurden schließlich doch gestattet. Eine in München und eine (auf besagtem Theatertreffen) in Berlin.

Nun könnte man der Meinung sein, in der Theaterszene (Sprechtheater) sei der Fall Werktreue eigentlich klar, ein paar Geisterfahrer bei dem Thema tummelten sich nur in Verlagen und Gerichten. Und genau so ist es nicht: Wer je ein Publikumsgespräch in einem deutschsprachigen Stadtheater im Anschluss an die Aufführung eines klassischen Dramas besucht hat, wird sich erinnern, dass etwa 50 Prozent der Fragen im weitesten Sinn darauf abzielen, ob die Aufführung, die man gesehen hat, im Einklang mit dem Text bzw. mit den Absichten des Autors, der Autorin steht. Aufgrund ihrer meist theaterwissenschaftlichen Vorbildung verstehen Dramaturg*innen diese Fragen häufig nicht und geben dann merkwürdige Antworten, die letztlich immer Paraphrasen der Goethe-Formel sind. So wird gern darauf verwiesen, dass schon Shakespeare seine eigenen Stücke um die Hälfte gekürzt aufgeführt hat. Oder: dass die Zuschauer noch heftiger reklamieren würden, würden die Schauspieler auf der Bühne aussehen wie zu Shakespeares Zeiten, der die Römer in den Römerdramen in elisabethanische Gewänder steckte. Ob die Zuschauer es wohl als werkgetreu empfinden würden, wenn Julius Cäsar in Pumphosen und Strumpfhosen erschiene? Und zuletzt der Klassiker: Die historische Situation, in die der Dramentext hineingeschrieben wurde, sei ja ohne weiteres nicht rekonstruierbar, das moderne Publikum habe andere Probleme als die Zeitgenossen des Dramatikers, würde mit anderen Augen schauen als das Publikum einer anderen Epoche. Und darum könne – in der Theorie – selbst eine Aufführung, die identisch mit der Uraufführung sei, nicht mehr den Bedeutungsgehalt dieser Uraufführung wiederherstellen.

Und wieder wurde das Problem endgültig gelöst.

Auf diesem Wege kommen wir also nicht weiter. Stellen wir die Gegenfrage: Was wollen denn die, die Werktreue wollen?

Sind sie nicht das eigentliche Unbewusste unseres Theaterbetriebs? Immer fordern sie die Werktreue, aber was sie damit meinen, bleibt – da von den Theoretikern negiert – auf merkwürdige Weise wortlos.

Am Sonntag, den 17. März 2005, zum Schillerjahr, formulierte der damalige deutsche Bundespräsident, Horst Köhler, im Berliner Theater am Schiffbauerdamm das Folgende:

„In dieser Situation, wo die Kenntnis der großen Stücke, auch eben Schillers, immer geringer wird, wo die Menschen, gerade die jungen Leute, wissbegierig und neugierig sind, diese Stücke erst einmal kennenzulernen, können die Theater ihre Anstrengungen ganz darauf konzentrieren, diese Stücke in ihrer Schönheit und Kraft, in ihrer Komplexität und ihrem Anspruch zu präsentieren.

Es hat gewiss eine Zeit lang einmal die Notwendigkeit gegeben, die Klassiker zu entstauben und zu problematisieren. Aber das heute immer noch fortzusetzen, erscheint mir wie der Ausweis einer neuen arroganten Spießigkeit. Ein ganzer Tell, ein ganzer Don Carlos! Das ist doch was!“ Schillers Werke hätten sich in Jahrzehnten nicht dagegen wehren können, „in Stücke zerlegt und nach Gutdünken wieder zusammengesetzt zu werden“. Man solle sie daher nicht länger auf „kleines Maß“ reduzieren.

Es erübrigt sich beinahe, darauf hinzuweisen, dass der bei der Rede anwesende Claus Peymann sich anschließend für die Freiheit der Kunst und insbesondere der Regisseur*innen aussprach.

Köhlers Ansprache wurde als Plädoyer für Werktreue verstanden. Darum wollen wir einmal nachschauen, was er sich von den Theatern wünschte:

1. Vorstellung der klassischen Literatur gegenüber einem Publikum, das nicht vertraut mit ihr ist: Da könnte nun tatsächlich etwas dran sein. In früheren Jahrhunderten konnten die Theater davon ausgehen, dass insbesondere die deutschsprachigen Klassiker ihrem Publikum bekannt waren wie die eigene Westentasche, weshalb Regisseur*innen in den Inszenierungen Kommentarebene auf Kommentarebene türmen konnten ohne fürchten zu müssen, dass der Zuschauer im Dunkeln tappt, worauf sich der Regiekommentar eigentlich bezieht, was im Stücktext an derselben Stelle „eigentlich“ verhandelt würde. Diese Art von Vorwissen beim Publikum können die Theater heute tatsächlich nicht in demselben Maß voraussetzen. Die Zuschauer, insbesondere junge Zuschauer, müssen durch das Spiel zugleich auch in die Stücke erstmal „eingeführt“ werden, wenn sie eine Chance haben wollen, irgendetwas zu verstehen.

2. Aufhören mit der „Problematisierung, der Entstaubung der Klassiker“: Was kann der gute Mann damit gemeint haben? Wahrscheinlich spielt er an auf etwas Ähnliches wie das, was ich unter dem letzten Punkt mit dem Auftürmen von Kommentarebenen meinte: Der Regisseur inszeniert seine kritische Einschätzung des Autors oder seines Werkes in das Stück hinein. Er erhebt sich also über die Ebene der Assistenz am Werk des Klassikers, über die Haltung einer bloßen Bewunderung des zu inszenierenden Stückes in den Rang eines Kritikers. Dies, so der Bundespräsident, verkomme unterdessen zum Ausdruck arrongater Spießigkeit. Man unterschätze bloß nicht: Berühmte Regisseur*innen wie Andrea Breth und Peter Stein (interessanterweise waren beide Direktor*innen der Berliner Schaubühne) geben in Interviews der letzten Jahre immer öfter an, sie verstünden sich als „Diener“, „Assistenten“ der Literatur und ihrer Urheber.

3. Stücke nicht zerlegen: Soll wohl heißen, nicht die Szeneabfolge verdrehen, Texte umstellen. Wahrscheinlich auch: keine Änderungen der Besetzung vornehmen, Figuren zusammenlegen, Geschlechter anders als vom Autor vorgesehen besetzen.

4. Stücke nicht auf „kleines Maß“ schrumpfen, die Stücke mit komplettem Text aufführen. Ein ganzer Tell! Tja. Das rekurriert nun einerseits auf die erste Forderung: die Klassiker in ihrer Gänze vorzustellen. Andererseits spricht sich der Sprecher offenbar gegen eine inhaltliche Schrumpfung und Verschlumpfung dieser Stücke aus. Damit dürfte gemeint sein, dass die Texte manchmal unterschätzt werden. Dass komplexe Charaktere und Beziehungen ohne Not vereinfacht würden, wodurch ein Verlust an Inhalten der Originaltexte entstehe. Das Argument ist nachvollziehbar, umgekehrt darf angemerkt werden, dass es mitunter gar nicht immer leicht ist, klassische Texte in ihrer ganzen Kompliziertheit ohne Kunstgriffe verständlich zu machen. (Ein beliebtes Beispiel sind die Briefe in „Don Carlos“: Wer nach dem dritten gefälschten Brief noch weiß, wer da wem geschrieben hat, gewinnt ein Premierenabonnement!) Hinsichtlich der Forderung nach integralen (also vollständigen) Textfassungen auf der Bühne muss die Frage erlaubt sein, ob Horst Köhler wirklich wusste, wie lang Schillers Stücke im jeweiligen Original tatsächlich sind. Der bereits erwähnte Peter Stein inszenierte dessen „Wallenstein“ (zugegeben: hat drei Teile) zwei Jahre nach dem Aufruf des Bundespräsidenten mit dem Berliner Ensemble in schlappen sieben Stunden. Das ist natürlich auch schön, kann aber im Repertoire eines Stadttheaters notgedrungen nur die Ausnahme darstellen. Und wer frühere Teile dieses Blogs gelesen hat, hat auch schon einmal davon gehört, dass die durchschnittliche Größe unserer Stadttheaterensembles es heute mit den klassischen Besetzungen der großen Schillerdramen nicht mehr aufnehmen kann. Allein „Wallensteins Lager“ fordert mehr Personen als ein normales Stadttheater noch zu bieten hat, und da ist noch nicht mal eine von den Hauptfiguren aufgetreten.

Habe ich damit wiederum die Werktreue-Debatte zu Staub zermahlen, sie weggelächelt? Nein. Köhlers Forderungen sind nicht durchweg abseitig und wirklichkeitsfremd (teilweise schon, aber nicht durchweg). Wurde sein Impuls im Jahr 2005 von der deutschsprachigen Theaterszene wie naiver Unfug aufgenommen, so tat er dennoch Wirkung. Wie bereits erwähnt: Der anwesende Intendant Claus Peymann, der noch in Köhlers Gegenwart den guten Mann auf der Bühne in den Senkel stellte, ließ zwei Jahre später den Regisseur Peter Stein an demselben Theater mit Schillers „Wallenstein“ eine modellmäßige Umsetzung der Köhler-Forderung besorgen. Ob das immer ein Reflex auf jenes Referat des Bundespräsidenten war, wird nicht zu überprüfen sein: In der Stadttheaterealität lässt sich bemerken, dass das Pendel vom Regietheater in den letzten Jahren deutlich wieder mehr in Richtung Werktreue (was immer das auch sein mag) schlug.

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39 | Proben besuchen

Wer von Dramaturg:innen spricht, sieht sie vor seinem inneren Auge gerne in Büros oder Cafés sitzen, Emails schreiben, Stücke lesen, diskutieren. Einen großen Teil ihrer Zeit sitzen Dramaturg:innen jedoch schweigend in der Dunkelheit auf Probenbühnen und beobachten die Vorgänge. Das ist eine besondere Tätigkeit, denn während die meisten anderen Menschen auf der Probe eine äußerlich sichtbare Tätigkeit verfolgen, also spielen, sprechen, zuschauen, unterbrechen, mitschreiben oder auf die Kaffeemaschine aufpassen, machen Dramaturg:innen eigentlich nichts. Sie sehen und hören zu. Aber selbst das sollten sie nicht zu intensiv tun. Dramaturg:innen sind auf den Proben in erster Linie anwesend. Um zu verstehen, was damit gemeint ist, müssen wir uns anschauen, wie die Aufgaben zwischen Regie und Dramaturgie auf den Proben verteilt sind.

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  • 24. März 2023

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Und dann arbeiten Dramaturg:innen natürlich mit den Regisseur:innen zusammen. In der sogenannten Produktionsdramaturgie sind die Regisseur:innen die Hauptansprechpartner:innen der Dramaturg:innen. Beziehungsweise umgekehrt: Die Dramaturg:innen sind die Ansprechpartner:innen der Regisseur:innen – meist aber nicht die Haupt-Ansprechpartner:innen (das sind aus vielen Gründen eher die Bühnen- oder die Kostümbildner:innen). Die Arbeit an der Stück-Produktion teilt sich in drei Phasen: Vorbereitung, Proben, Aufführungen. Die intensivste Zusammenarbeit zwischen Regie und Dramaturgie findet in den ersten beiden Phasen, also in der Vorbereitung und der Probenzeit statt. Da Regisseur:innen im Lauf mehrerer Jahre meistens mehr als eine Inszenierung an einem Theater machen, halten die Dramaturg:innen auch zwischen den einzelnen Projekten mit Ihnen Kontakt und schauen sich andere Inszenierungen dieser Regisseur:innen an anderen Theatern an.

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  • 17. März 2023

37 | Besetzungen

Besetzungen zu machen gehört zu den heiligsten Geschäften, an denen Dramaturg:innen im Stadttheater teilnehmen. Dramaturg:innen machen ja nur wenige Arbeiten allein – wie ohnehin die meisten Aufgaben am Theater von niemandem allein bewältigt werden – und darum sind sie auch nur Teilnehmer:innen an der Entstehung der Besetzungen. Wer nimmt noch teil? In der Regel die Theaterleitungen, Regieteams und – die Schauspieler:innen. Diese sitzen zwar zumeist nicht mit am Tisch, wenn Besetzungen verhandelt werden (vor allem, weil sie selber stark Partei in Fragen der Besetzung sind), allerdings bewerben sie sich oft im Vorfeld um Rollen oder Mitwirkungen in bestimmten Stücken, was in die Besetzungsarbeit einfließt. Zwei Raster müssen aufeinanderkommen, wenn Besetzungen entstehen: 1) der Ausgleich der Interessen und Bedürfnisse aller Mitwirkenden, 2) die Eigenlogik des Betriebs und der Projekte.

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  • 10. März 2023

36 | Fassungen II

Fassungen für das Theater werden aus den unterschiedlichsten Vorlagen: Es gibt Fassungen von ganz normalen Stücken, von Romanen und von Filmen. Selbst sogenannte Stückentwicklungen oder freie Projekte, die im Lauf der Proben entstehen, brauchen Fassungen, da müssen dann die Dramaturg:innen und Assistent:innen – und Hospitant:innen – auf den Proben dauernd alles mitschreiben und nachts (von einer Probe auf die andere) ins Reine schreiben. Eine grauenhafte Arbeit übrigens. Gut, dass so was heute nicht mehr möglich ist.

Schauspiel 35 | Fassungen I
  • 2. März 2023

35 | Fassungen I

Im echten Leben kann man sie verlieren oder schraubt sich eine Glühbirne hinein, im Theater (und noch mehr im Dramaturg:innenalltag) ist die Fassung ein alles entscheidendes, zentrales Ding, direkt nach der Besetzung und noch vor dem Programmheft. „Hast du schon die Fassung?“ – „Wann machen wir die Fassung?“

Schauspiel 34 | Interventionismus
  • 23. Februar 2023

34 | Interventionismus

Vergangene Woche war ich leichtsinnig genug zu versprechen, diese Woche eine Liste von Problemen vorzulegen, die in unserem Stadttheatersystem das Eingreifen einer Theaterleitung in den Probenprozess rechtfertigen.

Schauspiel 33 | Nicht Eingreifen
  • 16. Februar 2023

33 | Nicht Eingreifen

Vor einiger Zeit schrieb ein Theaterkritiker, der Autor dieser Zeilen hätte in seiner Funktion als Produktionsdramaturg bei einer Inszenierung „eingreifen müssen“. Hätte der Kritiker geschrieben, der Dramaturg habe seine Arbeit nicht getan, würde mir das zwar auch nicht gefallen, ich könnte aber nichts dagegen sagen. Der Ausdruck „Eingreifen“ hingegen (der sicher anders gemeint war, als ich ihn im Folgenden interpretiere) erinnert allerdings an Vorstellungen, denen Dramaturg:innen immer wieder begegnen – nicht nur bei Journalist:innen, auch bei Vorgesetzten –, dass Dramaturgie nämlich so etwas wie eine Theaterpolizei sei, die auf den Proben rumsitzt, um dann, wenn der Unfug überhandnimmt, einzuschreiten und dem Regisseur „auf die Finger zu klopfen“. Wie eine strenge Klavierlehrerin in den 1970er Jahren.

Schauspiel 32 | Programmhefteschreiben
  • 10. Februar 2023

32 | Programmhefteschreiben

Nahm man vor 30 Jahren das Programmheft einer Stadttheaterinszenierung in die Hand, dann wog dies in der Regel etwas schwerer als ein heutiges Programmheft, war weniger bunt und ein großer Teil der darin enthaltenen Texte stammte von französischen Philosophen (männlich), die der Schule des Poststrukturalismus zugerechnet werden konnten. Also Namen wie Baudrillard, Deleuze, Derrida und Žižek. Irgendwo fand sich mit großer Wahrscheinlichkeit ein gedichtartig gesetztes Zitat aus dem Buch Fragmente einer Sprache der Liebe von Roland Barthes. Wir reden hier übrigens nicht von den Programmheften einer bestimmten Art oder eines bestimmten Genres von Sprechtheater, sondern von Programmheften deutschsprachigen Sprechtheaters im Allgemeinen.

Schauspiel 31 | Stückelesen
  • 2. Februar 2023

31 | Stückelesen

Nachdem wir in den ersten Jahren dieses Blogs die großen Themen der Dramaturgie gewälzt haben, wollen wir jetzt mal eine Weile etwas kleinere Brötchen backen und auf unsere Eingangsfrage zurückkommen, nämlich: Was machen eigentlich Dramaturg:innen? Dramaturg:innen machen nämlich viele inhaltlich zwar irgendwie zusammenhängende, im praktischen Vollzug aber sehr wohl zu unterscheidende Dinge. Die wollen wir nun Kapitel für Kapitel durchgehen.

Schauspiel 30 | Zuviel Toxik?
  • 27. Januar 2023

30 | Zuviel Toxik?

Vor einigen Jahren arbeitete ich an einem anderen Theater, als ich den Brief einer Zuschauerin zur Beantwortung bekam. (Das ist übrigens eine besonders schöne Aufgabe der Dramaturg:innen – Zuschriften beantworten. Dabei ist, was in den Zuschriften zu lesen ist, manchmal durchaus interessant. Manchmal allerdings auch nicht.) Der Brief, der mir damals auf den Schreibtisch flatterte, war allerdings sehr interessant, auch wenn mir das nicht unmittelbar klar war.

Schauspiel 29 | Soll ein Film nicht mehr gezeigt werden, weil einer seiner Schauspieler straffällig geworden ist?
  • 23. Januar 2023

29 | Soll ein Film nicht mehr gezeigt werden, weil einer seiner Schauspieler straffällig geworden ist?

Österreich und seine Kulturszene werden vom Skandal um einen Schauspieler erschüttert, der uns nicht allein mit den Verfehlungen dieses Einzelnen konfrontiert, sondern der den Vorhang über einer kriminellen Szene wegreißt, die Kinder missbraucht und sie für ihr Leben schädigt. Niemand kann gegen die Vorwürfe, die hier erhoben werden, kalt bleiben. Die große, nicht nur mediale Erschütterung deutet allerdings auch darauf hin, dass wir es normalerweise schaffen, die Problematik, welche keine Unbekannte ist, zu verdrängen, wenn uns nicht ein prominenter Fall wie der genannte daran hindert.

Schauspiel 28 | Diskurs und Quote
  • 12. Januar 2023

28 | Diskurs und Quote

Evolution unseres Theaters lautete die Forderung in der letzten Woche. Und Evolution ist nicht genau dasselbe wie Revolution, sie ist eher: Revolution, aber langsam. So langsam, dass sie niemandem wehtun muss. Und Evolution, klar, wollen sowieso alle. Es kann ja nichts so bleiben, wie es ist. Bleibt nurmehr die Frage: Evolution wohin? Und auch da könnte man meinen, solange ein Projekt der Aufklärung bestand, hätte es im Stadttheatersystem einen breiten Konsens gegeben, dass 1.) das Theater Teil dieses Projekts sein müsse und dass 2.) der Ruf nach „Aufklärung“ notwendig mit gewissen Grundbekenntnissen einhergeht, nämlich denen zu einer gerechteren, humaneren, an einem freien Diskurs interessierten Gesellschaft.

Schauspiel 27 | Frauen
  • 5. Januar 2023

27 | Frauen

„Nichts ist so mächtig wie eine Idee, deren Zeit gekommen ist“, steht in einem Roman, dessen Titel mir gerade entfallen ist. Und eigentlich sollte man denken, dass Fragen hinsichtlich von Macht, Repräsentanz und Fairness, über die sich dieser Blog in Bezug auf das Theater in den letzten Wochen beugte, in einer demokratischen Gesellschaft immer aktuell sind. Dasselbe müsste auch für Fragen nach Geschlechtergerechtigkeit und Präsenz von Frauen gelten. Tatsächlich haben Arbeitsgruppen seit den Nuller-Jahren unseres Jahrhunderts intensiv daran gearbeitet, diese Themen ins Bewusstsein der Gesellschaft (und der Theaterleute) zu heben. Diese Ideen wurden demnach mächtig, weil ihre Zeit gekommen war. Aber warum ist das eigentlich gerade jetzt?

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  • 29. Dezember 2022

26 | Überschreibungen

Überschreibung ist das neue Reizwort, das einige Theaterfreunde heute auf die Palme bringt wie zuletzt das Wort Romanbearbeitung und zuvor Regietheater. Eine Überschreibung findet statt, wenn ein:e Autor:in ein älteres (meist klassisches) Stück nimmt, liest und dann beginnt, etwas Neues zu schreiben, das von der Lektüre des anderen Texts spürbar beeinflusst ist. Dabei kann ein Stück entstehen, das die Klassikerhandlung behutsam in die Gegenwart und dort in ein neues aber ähnliches Milieu wie das verlegt, in dem der Klassiker spielt (so in Ewald Palmetshofers Vor Sonnenaufgang, Maja Zades ödipus).

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  • 22. Dezember 2022

25 | Die Kraft der Narrative

Wir waren bei zwei Paradebeispielen kontaminierter Klassiker, bei William Shakespeares Stücken Der Kaufmann von Venedig und Othello. Beide führen uns ethnische und religiöse Außenseiter einer christlich abendländischen Gesellschaft vor, im ersten Fall den mord- und geldgierigen Juden Shylock und im zweiten Fall den Afrikaner Othello, der zum Frauenmörder wird, weil er vor Eifersucht zu denken aufhört.

Schauspiel 24 | Kontaminierte Klassiker
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24 | Kontaminierte Klassiker

Da wir schon einmal bei aktuellen Schocker-Themen sind, kommt heute gleich das nächste: Böse Klassiker. In den vergangenen Jahrzehnten galt am deutschsprachigen Stadttheater die Faustregel, dass zwar die deutschen Nationalklassiker manchmal irren (also Schiller immer dann, wenn er sexistisch, nationalistisch oder antisemitisch ist), dass aber eine Bastion existiert, die in ihrer Undurchschaubarkeit und Tiefe immer Recht behalten muss, quasi der Urmeter des europäischen Theaters: William Shakespeare. Las man Shakespeares Stücke lang und aufmerksam genug, musste man zu dem Schluss kommen, dass Shakespeare bereits alles wusste und wir Heutigen es im Zweifelsfall weniger gut wissen.

Schauspiel 23 | Die guten alten schlechten Angewohnheiten
  • 8. Dezember 2022

23 | Die guten alten schlechten Angewohnheiten

Nun haben wir in drei Teilen das Thema Theater und Macht in handlichen Paketen abgefrühstückt. Aus der Innenperspektive ist die selbstkritische Revision, die die deutschsprachigen Bühnen gerade durchmachen, allerdings ein Riesenthema, das auch noch an viele andere Gebiete – Gendergerechtigkeit, politische Korrektheit, kontaminierte Klassiker usw. – angrenzt. Die Theater werden damit also so bald nicht fertig sein. Einige der erwähnten angrenzenden Themen sollten wir uns in den nächsten Wochen auch noch anschauen.

Schauspiel 22 | Die Macht im Theater
  • 1. Dezember 2022

22 | Die Macht im Theater

Im letzten Teil haben wir gesehen, dass das Theater auf die eine oder andere Art immer schon vom Staat abhängig war (und wo kein Staat war, waren Fürsten) – beziehungsweise abhängig gehalten wurde. (In einer Gesellschaft mit bedingungslosem Grundeinkommen wäre natürlich auch das Theater frei.) Das Wesen dieser Abhängigkeit bestand stets in der Kontrolle über die Inhalte des Spiels. Diese Zensur wurde dadurch erleichtert, dass die Theater entweder ein Repertoire geschriebener Stücke hatten oder Improvisationen, die aus wiederkehrenden Versatzstücken bestanden. Wer die Kontrolle über diese Texte hatte, hatte auch die Macht über die Köpfe der Zuschauer:innen.

Schauspiel 21 | Die Macht und das Theater
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21 | Die Macht und das Theater

Im Blog der letzten Woche habe ich kurz umrissen, inwiefern Macht in unseren Theaterstücken, also innerhalb der Bühnenhandlungen, häufig Thema ist. Bestes Beispiel Shakespeare – unruhig ruht das Haupt, das eine Krone trägt – , bei dem geht’s eigentlich kaum je um etwas anderes. Und wenn er scheinbar Liebesdramen schrieb, ging’s immer noch darum. Mussten aber Königinnen und Könige sich schon dauernd auf der Bühne dargestellt sehen, sorgten sie zumeist dafür, dass die Theatermacher wenigstens von ihnen abhängig waren, so dass sie, die König:innen, ein bisschen Einfluss auf die künstlerischen Blüten hatten, welche die Komödienmuse unablässig trieb.
Und damit wären wir bei der zweiten Ebene der Macht, die wir hier verhandeln wollen: Der Macht über das Theater.

Schauspiel 20 | Theater und Macht
  • 17. November 2022

20 | Theater und Macht

Weil die letzte Folge schon viel zu lange her ist, möchten wir nun wieder starten und die Reihe „Was machen Dramaturg:innen?“ auf unserem Blog fortsetzen. Jede Woche gibt Andreas Erdmann, leitender Schauspieldramaturg, in seiner Kolumne wieder spannende Einblicke in die Welt des Theaters und die Arbeit eines/einer Dramaturg:in. Die ersten der neuen Folgen widmen sich dem Thema „Theater und Macht“ und beleuchten deren Verhältnis auf und hinter der Bühne.

Schauspiel 17 | Shakespeare
  • 14. April 2020

17 | Shakespeare

Für einen Stadttheaterdramaturgen habe ich nun in untypischem Ausmaß der Werktreue das Wort geredet. Dass Theaterprofis gegen diese häufig grundsätzliche, theoretisch unumgängliche Vorbehalte hegen, habe ich hinlänglich erklärt, dass das Theaterpublikum die Vorbehalte nicht im gleichen Maße teilt, ebenfalls.

Schauspiel 15 | Aufwand und Autorschaft
  • 3. März 2020

15 | Aufwand und Autorschaft

Ich wuchs also in einem katholischen Umfeld auf. Hin und wieder kam ich dadurch in Berührung mit Angehörigen des Jesuitenordens. Nachher wurde ich dann meistens von Familienmitgliedern auf die Besonderheit des Lebens der Soldaten Christi hingewiesen.

Schauspiel 12 | Proben und Probieren
  • 13. Januar 2020

12 | Proben und Probieren

Es gibt verschiedene Parameter, deren Schwanken man betrachten kann, um jene besonderen Ressourcen zu verstehen, die den Theatern deutscher Sprache in den 70ern und 80ern des vorigen Jahrhunderts zu Gebote standen: Werfen wir doch einmal einen Blick auf die Probenzeiten, die den Produktionsteams jener Tage für einzelne Inszenierungen eingeräumt wurden.

Schauspiel 11 | Die wilden 70er
  • 9. Januar 2020

11 | Die wilden 70er

Die wilden 70er: Unrasierte Nackte stürmen die Theaterbühnen, Stückzertrümmerungen, Publikumsbeschimpfungen, Theater werden leer gespielt, ganze Generationen Abonennt*innen in die Flucht geschlagen, wenn die Intendant*innen nicht das vollständige Abonnementsystem gleich mit der Wurzel ausreißen.

Schauspiel 10 | Regietheater
  • 27. Dezember 2019

10 | Regietheater

Wäre das ein Lehrbuch für Dramaturgie, sollte ich der Systematik halber nun vielleicht auf Fassungen von ganz normalen Stücken eingehen. Also Textfassungen, welche nicht aus Romanen destilliert wurden, sondern aus schon fertig vorliegenden Dramentexten.

Schauspiel 9 | Aristoteles und Stadelmaier
  • 17. Dezember 2019

9 | Aristoteles und Stadelmaier

Hintergründig haben Sie es wahrgenommen: Romanbearbeitungen auf der Bühne sind ein Reizthema. Dabei haben wir gelernt, dass Regisseur*innen durchaus Argumente kennen, sich lieber einen Bestseller der Prosaliteratur vorzuknöpfen als einen Klassiker des Dramenkanons.

Schauspiel 7 | Romanbearbeitungen
  • 2. Dezember 2019

7 | Romanbearbeitungen

Liebe kommt am besten von zwei Seiten. Und so liebten die Theater der vergangenen Jahrzehnte nicht allein, wenn Regisseur*innen berühmte Romantitel verwursteten, die Regisseur*innen taten das, wie es aussah, auch ganz gern.

Schauspiel 5 | Die sogenannte Fassung
  • 18. November 2019

5 | Die sogenannte Fassung

In den letzten Teilen dieses Blogs habe ich versucht herauszuarbeiten, inwiefern Stück-Besetzung und Verhandlungen über die Besetzungen heute einen großen Teil der Arbeit der Theaterleitungen ausmachen, und wie diese Arbeit durch Veränderungen im System der Stadttheater mehr geworden ist.

Schauspiel 4 | Lufthansa
  • 11. November 2019

4 | Lufthansa

Nachdem ich in Teil 3 versuchte zu verdeutlichen, welchen Unterschied für die Besetzungsarbeit der Übergang des Stadttheaters vom Betrieb mit „Hausregisseur*innen“ zum Betrieb mit Gastregisseur*innen macht (und die Besetzungsarbeit macht laut Peter Zadek an der Inszenierungsarbeit 90 Prozent aus), möchte ich heute einen kleinen Exkurs zu diesem Thema machen.

Schauspiel WAS IST EIGENTLICH EIN DRAMATURG?
  • 21. Oktober 2019

WAS IST EIGENTLICH EIN DRAMATURG?

Die Frage, die mir wohl am häufigsten gestellt wird (und die ich normalerweise nicht beantworten kann) lautet: „Was macht eigentlich ein Dramaturg?“ Oder noch profunder: „Was ist eigentlich ein Dramaturg?“ Und diese Frage wird nicht nur mit Unterton (dem Unterton von „Braucht’s die überhaupt?“) gestellt.