Unerhörte Opern

Zur Premiere von Melusina.

PremierenfieberMelusina

Wenn der wortgewaltige Musikkritiker Eduard Hanslick einen jungen und unbekannten Komponisten mit Lob bedachte, dann sorgte das im Wien der Jahrhundertwende für Aufsehen. In der Neuen Freien Presse schrieb er am 28. Februar 1877 von einer „gelungenen Uraufführung der Oper Hermannsschlacht nach Kleists gleichnamigem Drama am Breslauer Opernhaus. Der junge Komponist Hans Rott stößt mit seiner einzigartigen Klangsprache das Tor zu einer neuen Musikwelt auf. Aus tönenden Klangbildern entspringen feinste Melodien, die von der immensen Kreativität des Komponisten zeugen. Die Beifallsstürme und mehr als 20 Vorhänge künden von einer großen Zukunft für den Komponisten und belohnten den Leiter Georg Brandes für seinen Mut, sein Haus einem Unbekannten zur Verfügung zu stellen, um dem musikalischen Fortschritt eine Heimstatt zu bieten.“ Hans Rott machte sich nach diesem durchschlagenden Erfolg daran, seine Oper Julius Cäsar im Auftrag der Wiener Hofoper zu verwirklichen.

Leider ist das gerade Gelesene frei erfunden. Die genannten Personen agierten niemals in einer derartigen Form miteinander, geschweige denn gibt es eine vollendete Oper von Hans Rott. Dem Lieblingsschüler Anton Bruckners ward kein so erfreuliches Schicksal beschieden wie hier beschrieben.

Die Skizzen zu einer Oper mit dem Titel Herrmannsschlacht [sic!] aus dem Jahre 1876, wie auch ein Vorspiel mit dem Titel Julius Cäsar (1877) existieren allerdings wirklich. Sie verweisen in die Welt des „Was wäre wenn“, die ein Bestandteil des musiktheatralen Kosmos‘ ist. Oftmals tauchen derlei Fragen und Gedankenspiele auf, insbesondere wenn man es mit Fragmenten, Skizzen oder unvollendeten Opern zu tun hat. Ganz besonders interessant ist das „Was wäre wenn“ bei Komponisten, von denen man keine Oper erwarten würde. Hans Rotts Studienkollege Gustav Mahler wäre als versierter Operndirigent oder Hofoperndirektor prädestiniert dafür gewesen, eine Oper zu schreiben. Doch es blieb nur bei der Gebrauchsmusik für das narrative Gedicht Der Trompeter von Säckingen, welches man 1884 am Königlichen Theater Kassel im Zuge einer Benefizveranstaltung aufführte. Die Musik ging – wie bei Gebrauchsmusik leider üblich – später verloren.

Wenn man den Namen Theodor Wiesengrund Adorno liest, denkt man zuallererst an Philosophie, die Frankfurter Schule und die kritische Einstellung zur Kunst in Massen für Massen. Man vergisst allerdings oft, dass Adorno Komposition studierte und ein Schüler Alban Bergs war. Dieses Kompositionsstudium blieb nicht ohne Ergebnisse, wie einige Lieder und Instrumentalstücke zeigen. In den Jahren 1932 und 1933 schrieb Adorno an einem Singspiel-Libretto mit dem Titel Der Schatz des Indianer-Joe, basierend auf Mark Twains Tom Sawyer. Zusätzlich zum Libretto schrieb Adorno zwei Nummern: Ein Auftrittslied des Huck sowie ein Totenlied auf einen Kater. Die Arbeiten an diesem Singspiel, das Elemente enthält, die an Weill und Brecht erinnern, brach Adorno nach dem fertiggestellten Libretto 1933 ab. Auch hier wäre es schön gewesen, wenn Adorno das Projekt vollendet und der Nachwelt ein Singspiel hinterlassen hätte, das ganz nach seinem Geschmack gestaltet wurde.

Dann gibt es noch den sinfonischen „Riesen“, wie ihn Brahms beim Schreiben seiner Sinfonie hinter sich wähnte, der mit seiner einzigen vollendeten Oper Fidelio nur wenig – aber dafür umso Bedeutenderes – der Opernwelt hinterließ. Doch Ludwig van Beethovens Oper war nicht der einzige Versuch in dieser Gattung. Schon 1795 hatte er zwei Arien zu einem Singspiel mit dem Titel Die schöne Schusterin verfasst. 1803 ließ er Emanuel Schikaneders Vestas Feuer als Fragment liegen. Bis 1815 schrieb er verschiedenste Nummern für musiktheatrale Werke, viele kamen nie über das Skizzenstadium hinaus. Intensiver beschäftigte sich Beethoven mit dem von Franz Grillparzer verfassten Stück Melusina. Grillparzer schrieb es auf Bitten von Graf Dietrichstein im Herbst 1822 und Beethoven schien an dem Werk zu arbeiten, wie ein Brief suggeriert, in dem er bestätigt, dass „Grillparzer ein Buch für mich geschrieben hat“. Doch seine Gesundheit machte es ihm erst unmöglich, daran zu arbeiten, dann widmete er sich anderen liegen gebliebenen Werken und schlussendlich kamen Beethoven und Grillparzer künstlerisch auf keinen grünen Zweig, weswegen es nie zu einer Niederschrift dieser Oper kam. Doch was wäre wenn?

Hier kommen wir zu Conradin Kreutzer und seiner am 27. Februar 1833 im Königstädtischen Theater in Berlin uraufgeführten Melusina. Das Werk wusste musikalisch zu gefallen und das Publikum bedachte es mit Wohlwollen. Es ist die Grundlage für die „Was wäre wenn“-Oper, die der Musikwissenschaftler Alexander Doent erstellte, indem er die Oper Kreutzers mit Musik Beethovens anreicherte. Man wird altvertraute Meisterwerke wie beispielsweise Adelaide, Leichte Segler in den Höhen aus An die ferne Geliebte oder den 3. Satz aus dem Streichquartett Nr. 16 F-Dur op. 135 in einer neuen musikalischen Umgebung hören und einen Eindruck bekommen, wie es vielleicht hätte sein können. Dieses spannende Experiment bringt das Oberösterreichische Opernstudio unter der Musikalischen Leitung von Claudio Novati und der Regie von Gregor Horres am 22. Dezember 2022 in der BlackBox zur Aufführung.

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